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KLAUS BEITEL

Direktor des Österreichischen Museums für Volkskunde 1978 – 1994

Viktor Lederer – 25 Jahre Malerei im Burgenland

Als Viktor Lederer vor 25 Jahren sein erstes Gemälde im Burgenland schuf, war der Wiener als Mitarbeiter bei der Restaurierung der Pfarrkirche von Trausdorf anlässlich des seinerzeitigen 25-jährigen Priesterjubiläums des in dieser Gemeinschaft beheimateten Bischofs Lászlo auf der Suche nach einem Broterwerb durch Zufall dorthin gekommen. Aus dieser ersten Begegnung im Jahre 1961 mit Land und Leuten jenseits des Leithaflusses ergab sich eine doppelt beständige Verbindung. Aus dem künsterischen Erlebnis der Landschaft und ihrer Einwohnern bei wiederholten Aufenthalten im Burgenland ist in der Zeitspanne einer Menschengeneration ein umfassendes bildnerisches Werk entstanden, welches es rechtfertigt, im Maler Viktor Lederer den Darsteller der „Häuser und Menschen“ des burgenländischen Dorfes zu erblicken. Aber nicht nur diese erlebnismäßige und künsterlische Bindung an das Burgenland ist es gewesen, die im Leben und Schaffen des Malers in den vergangenen 25 Jahren prägend war, sondern auch der ebenso lange Konnex mit dem Österreichischen Museum für Volkskunde. Ankäufe des Museums für eine „Neue Galerie“, die Bildwerke volkskundlichen Inhalts von zeitgenössischen Künstlern bewahrt, sind zum Ausgangspunkt einer sich nun schon über zweieinhalb Jahrzehnten erstreckenden Verbindung zwischen dem Künstler Viktor Lederer und dem Museum geworden. Ungehindert und unbeeinflußt von den Vorstellungen, die die Sammeltätigkeit eines Volkskundemuseums leiten, hat Viktor Lederer die frühen Bilder eines „Burgenländischen Hofes aus Trausdorf“ (1961) und des „Getreideschüttkastens eines Hofes in St. Margarethen“ (1962) sowie das Bildnis der 92-jährigen „Teta Marica aus Trausdorf“ (1964) und vieles andere mehr an Ort und Stelle nach der Natur - „im Gelände“ würde man in der volkskundlichen Feldforschung sagen – geschaffen. Neueste Ankäufe sind die Porträts von „Josef Hofer, Kapellmeister der Schlaininger Blasmusik“ (1982) und von Franz Eberwein, Hauer im Antimonbergwerk in Schlaining“ (1982), Bilder von kleinen Leuten in ihrer schlichten Art, wie sie von Viktor Lederer beobachtet und festgehalten werden, von ihrem anonymen Alltag, der gerade den Volkskundler interessiert wie das auch schon Leopold Schmidt, der frühe verständnisvolle Förderer Viktor Lederers, festgestellt hat.

 

BERNHARD DOBROWSKY

Direktor vom "Haus der Begegnung" in Eisenstadt

Begegnung mit Viktor Lederer

Ich sitze bei einem alten Freund in Margarethen bei einem Glas Wein. Es ist die behagliche Stube eines Fassbindermeisters in der Schulgasse gleich hinter den malerischen Stadln des Kohlgrabens. Oft haben wir hier schöne Stunden verbracht. Wein floss reichlich, dazu deftiges Bauergeselchtes mit frisch geriebenem Kren.

Mein Blick bleibt an einem kleinen Ölbild an der Wand haften – ein Motiv von Viktor Lederer. Und meine Gedanken gehen zurück in jene Zeit, als ich Lederer vor seiner Staffelei sitzen sah, wie er unter dem spärlichen Schatten einer Robiniengruppe Motive auf seiner Leinwand festhielt, die mir die Tage einer unbeschwerten Kindheit in Erinnerung riefen.

Es muss wohl in den späten Sechzigern – oder frühen Siebzigerjahren gewesen sein. Nun entstehen diese Bilder wieder vor meinen Augen: das dichtbewachsene Gässchen mit Blick zur Kirche. Noch trägt es nicht den Namen meines Großvaters, noch heißt es Kramergassl, ein Name, dessen Ursprung wohl in dem Faktum liegt, dass hier einst Krämer an dem vormals zahlreichen Markttagen ihre Ware feilboten. Und es ist auch irgendwie schade, dass diese Bezeichnung dem Namen unserer Familie weichen musste, aber zusehr ist die Gegend mit dem Maler Josef Dobrowsky verbunden.

Hier wohnte er in einem kleinen Stöckl inmitten des Dorfes in einem Bauerhof während der Sommermonate, wenn die Akademie am Schillerplatz ihre Pforten geschlossen hatte. Von hier aus begleitete ich ihn auf den täglichen Wanderungen rund um die Gegend von Sankt Margarethen. Das Kramergässchen mied er, wohl wegen des Staubs. Viel eher zogen wir durch den Hof daneben. Hier blühten zu Hunderten Gladiolen, Dahlien, Löwenmäuler, Zinien und Margariten. Und hier stützte er sich von seinem Asthma geplagt an die alten Steinmauern der Stadln, um zu rasten.

Die Ziele unserer Streifzüge waren immer die gleichen: die Gegend um den Hendlberg hinter dem alten Kohlgraben, die Schulgasse, die Milchgrubn, der Bruckngrabn, Plätze unter den Nuss- und Maulbeerbäumchen um die Kirche.

Doch nicht von Dobrowsky, von Lederer soll hier die Rede sein. Oder doch? Denn Jahre danach – mein Großvater war längst gestorben, und die Tage dieser Sommermonate in weite Ferne gerückt – fand ich ihn, Viktor Lederer, unten den Robinien sitzend, und mit einem Mal waren diese Kindheitserinnerungen wieder da. Ich wagte eine schüchterne Frage, ob es ihn störe, wenn man ihn bei der Arbeit beobachte. Nein, meinte der Meister freimütig, durchaus nicht.

Ich wusste von meinem Großvater, dass ihn dies ärgerte. Ich erzählte Lederer davon, und so entsponnen sich kleine Gespräche. Immer wieder sah ich ihn dort sitzen und war froh darüber. Es ist dies eines jener unauslöschlichen Bilder, die jeder von uns in sich hat, die sich gesetzt haben in der Seele, und um die sich so viel rankt, dass man ein Leben lang davon zehrt. Noch heute, nach nahezu zwanzig Jahren, sehe ich Viktor Lederer dort, sooft ich an der Stelle vorbeikomme, und sosehr sich der Platz verändert hat und kaum wiederzuerkennen ist, für mich sitzt dort noch immer unter den falschen Akazien vor seiner Staffelei der blonde Maler mit seinem braungebrannten Gesicht und fixiert die Kirche am Ende der Straßenzeile.

Auch in den Bildern Lederers fand ich Dobrowsky wieder. Ich entdeckte die Faszination dieser eigenartigen Landschaft. Ich fand die Liebe zu diesem Gemäuer, die jedem einzelnen Stück davon anhaftet, die drückende, gleißende Hitze des Sommers. In seinen kräftigen Farben findet sich die Schwüle in der Luft, sein restloses Erfassen dieses Dorfes

Nur derjenige, der diesen satten Landstrich liebt, ja ein nahezu erotisches Verhältnis zu jedem Stein entwickelt, kann das verstehen. Und es sind ganz wenige, die dazu zählen, Karl Prantl ist einer davon.

Und jetzt fand ich all das in diesen Bildern, die von den alten Höfen erzählen, mit ihren geduckten Dächern, den kleinen Fenstern und höhlenartigen Eingängen, den Brunnen und Stadln, dieser geheimnisvollen, dämonischen, dahindösenden Architektur wieder.

Es ist die Faszination der üppigen Farben, den reifen Kukuruzfeldern und trunkenen Kommandlen gleich, die einen berauschen, die vermutlich nur hier zu finden ist.

Denn es verwundert, dass sich sowohl in Dobrowskys wie in Lederers Bildern kein einziges Motiv etwas aus Rust, dessen Fluidum für mich so etwas wie ein Lebenselixier bedeutet, findet.

Es sind die Höfe von Sankt Margarethen, dem Dorf an der Grenze, die stets menschenleer sind. Da scheint kein Platz mehr für eine Gestalt, und auch mir scheinen sie in der Erinnerung wie unbewohnt. Man erwartet auch nicht, dass jemand aus der Türöffnung hervortritt. Wozu auch? Es gibt sie ja längst nicht mehr, die Höfe. Hier ist die Zeit erstarrt, es ist das Bedrohliche, das Vergängliche, das Kauzige, Hintergründige… Die ockerfarbenen Wege scheinen ins Unendliche zu führen. Eine Stille, so wie ich sie in den späten, letzten Bildern Lederers erkenne: fahl, unwirklich, auf Licht-Schatten reduziert, - denn das alles ist ja nicht mehr, - was bleibt, ist die Totenfahle, die Bestandsaufnahme einer Welt, die sich zu abstrahieren, zu verflüchtigen beginnt.

Es ist seltsam, aber sooft ich in diese Bilder eintauche, erfahre ich die gleiche magische Anziehungskraft, die mich fortführt in eine Trauer vom verloren gegangenen Ambiente einer Dorfgeschichte, deren Spuren sich verlieren.

Leere Stadln, dem Verfall preisgegebene Arkaden und Bögen, zugemauert, abgetragen. Welch eine Wehmut, als ob alles dahinschmelzen würde – das Glück einer verlorenen Kindheit…

Es ist spät geworden, ich habe meinen Blick von dem kleinen Ölbild Lederers kaum abgewandt, das Glas bei dem alten Freund in der Schulgasse ist geleert, wir müssen gehen.

Das Bild Viktor Lederers bleibt…

   

THEODOR KERY

Ehemaliger Landeshauptmann vom Burgenland

Ausstellungen und Ausstellungskataloge sind wichtige Verständigungsmöglichkeiten und schaffen eine ungedingte nötige Kommunikationsbasis zwischen dem Künstler und seinem Publikum. Der Kunstinteressierte kann sich sozusagen ein Bild machen – sowohl vom Künstler als auch von dessen Werk. Der Künstler wiederum erhält die Möglichkeit, seine Anliegen und Ideen vorzustellen und die ihm eigene Weltsicht, seine Erlebnisse und nicht zu letzt sich selbst verständlich zu machen.

Viktor Lederers Werk erhält für uns Burgenländer aber noch eine zusätzliche Bedeutung: denn in seinen Bildern präsentiert der Künstler zugleich auch unser Land und unsere Geschichte. Wir stehen vor einem Bild – und wissen, dass wir dorthin gehören. Vieles, was wir schon verloren glaubten, wird wieder lebendig; wir erleben unsere Herkunft und erkennen den Weg, den wir Burgenländer zurückgelegt haben. Die Bilder, die der Künstler in den vergangenen 26 Jahren – seit seinem ersten Kontakt mit unserem Land gewissermaßen – gemalt hat, sind heute zum Teil schon historische bzw. volkskundliche Dokumente, ohne die wir auf der Suche nach unserer Identität sicherlich erfolglos wären.

Gewiss könnte man die Geschichte auch erlernen, aus einer rational erfassbaren Summe von Vergangenheit und Gegenwart in die Zukunft schließen – aber vom Erlernen zum Erleben ist ein weiter Weg. Viktor Lederer hilft uns mit seinem Werk, diesen Weg abzukürzen. Er sieht unser Land mit einem Auge, dem sich alle Dimensionen erschließen und befähigt dadurch den Betrachter seiner Bilder, in jener Spur zu blieben, an deren Ende er nicht nur Bilder aus dem Burgenland, sondern einen Teil seiner selbst findet.

  

HEINRICH KOTTBAUER

Wiener Symphoniker

Viktor Lederers Arbeiten vom Sommer 1993 sind für mich ein deutliches Zeichen, dass auch im kritisch orientierten Kunstschaffen der modernen Zeit wahrhafte Schönheit ihren Platz behält. Im Schauen spüre ich, wie positive Gefühle in einem eher rationalen Alltag zu Leuchten beginnen. Es entsteht eine Heiterkeit, die nicht erst gedeutet werden muss. Tiefe Farben, verbunden mit vitaler Gestaltung, verleihen den Bildern eine besondere Stärke, die in der Lage ist, einen ganzen Raum zu bewegen. Verweilt man ein wenig länger – man kann es kaum glauben – das Bild beginnt zu leben. Und es wird immer lebendig bleiben. Solange es ein innerlich aufgeschlossener Mensch zu betrachten weiß.

 

RUDOLF KROPF

Johannes Kepler Universität Linz

Viktor Lederer – Bilder aus Schlaining

... Lederer malte zunächst Dorfbilder und Menschen aus Niederösterreich (Waldviertel und Riederberg) und dem nördlichen Burgenland (Trausdorf und St. Margarethen). Seit Mitte der 70-er Jahre sucht er Motive in Schlaining und seiner näheren Umgebung. Durch die geschickte Auswahl der Objekte – alte, ländliche Häuser, Wohnbauten in Kleinstädten, von der Straßenseite oder von innen gesehen – gelang es Lederer, ein Stück lebendige Geschichte einzufangen. Die verschiedenen Bauelemente der Häuser von der Gotik bis zur Gegenwart werden in seinen Bildern freigelegt. Diese widerspiegeln aber auch die wirtschaftliche Entwicklung dieses Raumes, alte Bauernhäuser neben längst aufgelassenen Gewerbebetrieben und Wirtschaftsgebäuden. Diese Häuser sind mit kräftigen Farben gemalt und einige bereits dem Verfall preisgegeben, manchmal ist der Verputz schon abgefallen.

In den letzen Jahren hat sich Viktor Lederer vorwiegend der Porträtmalerei zugewandt. Vom Standpunkt des Sozial- und Wirtschaftshistorikers gesehen sind seine Bilder eine ausgezeichnete Wiedergabe der burgenländischen Sozialgeschichte des 20- Jahrhunderts. Der Künstler zeigt ehemalige Bergarbeiter der schon längst geschlossenen Kohlengrube Tauchen oder vom Antimonbergwerk in Schlaining, Bauern und Handwerker in Arbeitskleidung, Angestellte und Beamte wie zum Beispiel den „Kleinrichter“ mit seiner Trommel, wie er die Nachrichten ausruft, sowie die Honoratioren der Siedlungen, angefangen vom Arzt, Pfarrer, Bürgermeister, Gemeindesekretät, Gendarm etc., manchmal in Uniform, ein anderes Mal in Festtagskleidung. Im allgemeinen sind Lederers Modelle schlicht und einfach gekleidet, Leute in Arbeitskleidung mit dem blauen „Fiata“, einem Hut oder einer Kappe als Kopfbedeckung, die Frauen meist mit dem Kopftuch. Die Personen sind aus dem Alltagsleben herausgegriffen und werden so dargestellt, wie sie leben. Die Gewänder sind keine Trachten, sondern beinahe farblose Alltagskleidung. Er malt Einzel- und Gruppenporträts, Ensembles wie zum Beispiel Eheleute, Kindergruppen, Großväter mit Enkelinnen usw. Markante Merkmale seiner Gemälde sind Gesichter der unbekümmerten, fröhlichen Jugend, solche die Sorgen und Plagen der Eheleute wiedergeben, sowie die zerfurchten Gesichter der älteren Menschen, die manchmal fast abgeklärt wirken. Bei einzelnen Porträts gelang es Lederer vortrefflich, die wesentlichen Charaktereigenschaften der Modelle ins Bild zu übertragen. In seiner Maltechnik skizziert er oft mit wenigen Pinselstrichen die Personen, oft sind sie bis ins Detail ausgemalt. Manchmal wirken sie kräftig expressiv dargestellt, manchmal aufgelockert und fast verspielt.

  

FREDERIK LEHNER

Galerie Lehner

Über fünfzig Schaffensjahre sind ein würdiger Zeitraum für eine breit angelegte Retrospektive eines der Hauptvertreter des österreichischen Post-Expressionismus, der in der Nachkriegszeit mit Malern wie Karl Stark, Franz Grabmayer und Hans Andreas eine Tradition der expressiven Bildauffassung in Österreich fortgeführt und ihr wesentliche neue Impulse gegeben hat.

Das Frühwerk Viktor Lederer ist eine Hommage an das Burgenland, das ihm seine zweite Heimat wurde. Mit großer Empathie und expressiver Farbigkeit entstehen eindringliche Porträts der einfachen Dorfbewohner von Schlaining und Rechnitz sowie deren Bauernhäuser. Die Arbeiten sind zu einem großen Teil mittlerweile im Besitz des Volkskundemuseum und werden wohl in den nächsten Generationen unseren Blick auf diese Epoche prägen. 

Lederers Gesamtwerk widerstrebt sich dem Theoretischen und Konzeptionellen und baut stattdessen auf eine direkte sinnliche Wahrnehmung. So setzt er in seinen Landschaftsbildern Monumentalität, Kraft, Licht und Urgewalt direkt mit Pinsel und Spachtel um. Ein a priori unspektakulärer Steinbruch, ein einfacher Abhang oder ein nicht unbedingt postkartentauglicher Landschaftsausschnitt genügen Lederer um mit malerischen Mitteln Empfindungen zwischen mystischer Ruhe oder unruhigem Brennen hervorzurufen. Auch große Fromate überzeugen mit einer flächendeckenden Spannung. Der Duktus des Künstlers setzt der Naturgewalt einen würdigen Kontrapunkt. 

Sinnlichkeit statt Konzept sind auch die Prämissen bei den Akten und Stillleben von Viktor Lederer. In den zahlreichen Akten geht es ihm nicht um ein psychologisches Porträt sondern um eine Fleischwerdung seiner Modelle auf der Leinwand. Dabei tastet sich Lederer oft bis an eine fast abstrakte Auffassung heran; seine Akte verfließen zu einer Sinneslandschaft oder zur abstrakten Skulptur. Es ist die Energie und Schaffenskraft des Malers, die seinen Akten auf der Leinwand Leben einhaucht.

Die Werkgruppe der sogenannten Architekturbilder spielt eine besondere Rolle im Oeuvre Lederers, was sich an den euphorischen Kritiken aber auch ganz handfest am kommerziellen Erfolg dieses Werkblocks zeigte. Verinnerlichung ist die Prämisse dieser Arbeiten, die einer verlorenen Zeit ein Denkmal setzt. Lederer arbeitet entgegen seiner üblichen Auffassung mit verhaltenem Duktus und theatralischem Licht mit sehr eingeschränkten Farbpaletten. So gibt er der Gebäudehülle eine eigene Aura und lässt die Flächen vibrieren. Wie Monumente aus einer längst vergangenen Zeit erscheinen so die Gutshäuser des Burgenlands.

  

HERBERT LOIDOLT

Architekt

Viktor Lederer – Burgenländische Hausbilder

Im „Zwielicht der Erinnerung“ betitelt Brigitte Marschall ihren Beitrag im Katalog zum Häuser-Zyklus, den Viktor Lederer Ende der Achtzigerjahre gemalt hat. Die Serie sah er selbst als Abschied von einer vergangenen Welt. Zwanzig oder mehr Jahre vorher hatte der Künstler die Haus- und Dorflandschaften noch in kraftvollen, farbigen Bildern mit Dächern, Bäumen, Grün und weißgekalkten Mauern unter dem Sommerhimmel festgehalten. Schon damals begann sich die Gesellschaft und damit auch das volkstümliche Bauen stark zu verändern. Die Vergänglichkeit dieser Dorfwelt spürte der Künstler bereits beim Malen in der Natur. Als Erinnerung an die Welt von gestern hat er in einer drei Jahre dauernden „Klausur“ sodann konzentriert und leidenschaftlich den Bilderzyklus aus seinem vorangegangenen Bildwerk erarbeitet und abgeschlossen.

Erinnerung. Viele kennen die bauliche Entwicklung in Ostösterreich im Aufschwung der Siebzigerjahre. Sie geht vom geschmähten Lederhosenstil über die Postmoderne bis zum Dorferneuerungs -und Chaletstil. Oder zu einer Mischung aus all dem. Die Arbeiten der Spitzenarchitekten und Künstler (Rainer, Gsteu, Pichler), die von Wien mit Aufträgen oder Zweitwohnsitzen ins Land gekommen waren, blieben nur von bescheidener Wirkung. Viel lauter war da schon der Beton der Modernisierungsarchitekten. Auch der Wunsch nach Verschönerung wurde immer stärker, Einfachheit als Armseligkeit empfunden. Weiß gekalktes Mauerwerk genügte nicht mehr, es musste bunt werden. Das Waschblau griff auch auf andere Gegenstände über, so dass man fast schon von einer Pannonisierung des Waldviertels sprechen konnte – besonder, als sich noch die tiefvioletten Hausfassaden dazugesellten.

Mörbisch. Dort hat die Hilfestellung von Architekten (Hiesmayer, Kaitna, Dworsky) gezeigt, dass es auch anders geht. Nicht nur die historische Baustruktur mit den sich linear entwickelnden Streckhöfen und Scheunen hat hervorragende praktische Qualitäten für die Belichtung, Belüftung und Erschließung gezeigt. Im engen Seitenabstand hat sich dazu ein schönes Wohnmilieu entwickelt und die Mauern der Lauben und Hausfronten sind – schlicht geweissigt. Das und mehr kommt einem in den Sinn, wenn man über den Bilderzyklus sprechen will.

Das Alte. In der einmaligen und einzigartigen Serie von Ölbildern hat sich Viktor Lederer die Verödung der Häuser und Höfe zum thematischen Vorwurf genommen. Die Veränderung der Höfe und Dorfstraßen wird durch intensiv malerische Mittel gezeigt. Der zentrale Gedanke des Zyklus ist vielleicht mehr Bild als Abbild. Theo von Doesburg von der holländischen Architektengruppe „De Stijl“ hat 1928 ein Schema „Malerei – Plastik – Architektur“ gezeichnet. Das Bauhaus hat eine Fülle von künstlerischem Material über Fläche, Körper und Raum hinterlassen und damit die bildende Kunst der Moderne mitgeprägt. Vieles davon mag als optische Spielerei eingestuft werden, manches als optisch- physikalische Grundübung. Die Maler haben sich schon immer mit dem „Widerspruch“ von Fläche und Raum im Tafelbild auseinandergesetzt seit es Bilder gibt. Die folgenden paar Zeilen sollen nur ein weiterer, kleiner Versuch der gedanklichen Einordnung sein.

Naturgesetze. Die Mechanik ist ein Teil des großen und großartigen Lehrgebäudes der Physik. Darin ist die Statik und Dynamik das naturgesetzliche Spiel der ruhenden und bewegten Kräfte. In der Kunst (Malerei) kann das nur mit künstlerischen Mitteln zum Ausdruck gebracht werden. Es sind Übertragungen, Metaphern. Dazu die bekannten Beispiele. Der Raum im Bild ist zweidimensional, optische Illusion, die sich erst im Betrachter formt. Die Bewegung (vgl. die Futuristen) kann im Bild nur gefrorene Bewegung sein. Das Bild ruht, wie es auch das Haus tut. Die Dynamik in der Kunst ist mit der Spannung in der Statik und Elektrizität vergleichbar. Es sind das Potentiale der Möglichkeit, nicht der Wirklichkeit. Damit zusammenhängend scheinen in der bildenden Kunst auch die physikalischen Gleichgewichtszustände an vorrangiger Stelle zu stehen. Auch sie werden nämlich im Bild nur optisch umgesetzt. Im Bild fällt nichts um (Bewegung), das optisch labile Gleichgewicht erzeugt aber im Betrachter Unruhe und Spannung ebenso wie die Diagonale. Das auf die Spitze gestellte Dreieck wäre beispielsweise als Körper im labilen Gleichgewichtszustand, ja das diagonal gestelle Quadrat erhält sprachlich sogar einen eigenen Begriff wie Raute oder Karo (Arnheim, Kunst und Sehen 1978).

Ruhe und Verlassenheit. Der Betrachter mag diese flüchtigen Gedanken im Bilderzyklus Viktor Lederers bestätigt finden – oder auch nicht. Das Feld der Malerei ist ja atemberaubend weit. Atemberaubend sind auch die Bilder, in denen die ruhenden Formen vorkommen, die statisch stabilen Formen des Dreiecks und Rechtecks (Giebel, Walm, Bogen, Turm). Es ist ein sehr klarer Dialog des Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen, wie auch des Auftürmens und Lastens.

Farbe und Licht. Sofort fallen diese beiden Dinge auf, beeindrucken zutiefst, bleiben im Gedächtnis. In der stark reduzieren Palette ist jeder einzelne „Farbfleck“ so wie die verfallenen Baumaterialien in der Natur – vielschichtig und vielfärbig. Zweites wesentliches Charakteristikum des Zyklus ist das diffuse gleichsam unterdrückt flimmernde Licht, mit den dennoch präzise formulierten Schattenbildern. Ob dieses Licht als zwielichtig, gewittrig oder mondig empfunden wird, ist schwer zu sagen. Sicher sind es Stimmungen der früher erwähnten Verabschiedung.

Einordnung. Der malerische Reichtum der Haubilder kommt ohne jegliches belebte Objekt wie Pflanze, Tier oder Mensch aus. Auch Picasso hat in seinen kubistischen Landschaftsbildern (Landschaft von Horta 1909) nichts außer den Häusern. Giorgio de Chiricos perspektivische Stadtlandschaften haben – surreal verfremdet – Maßstabsbildner in Form von Statuen und Stadtmöbeln. Warum sind uns die Bilder des Malers Viktor Lederer so vertraut und trotz der Abstraktion lebendig vor Augen. Es sind die Fenster, Türbögen, Stiegen, die Dachformen und Rauchfänge, die uns den Maßstab geben. Aber wie lange noch. Die Architekturelemente haben sich verändert – Glotzfenster im alten Fensterloch- und sie ändern sich durch große Fenster mit imitierten Sprossen. Im Fluss der Zeit verschwinden viele Architekturelemente aus der Erinnerung.

Bleibendes. Abschied und Erinnerung verblassen und vergehen. In Viktor Lederers Architekturbildern zeigt sich die gleichsam ewige Auseinandersetzung von Malerei, Plastik und Architektur. Nicht nur die drei haben ihre gemeinsame Basis im Elementaren und Naturgesetzlichen der Schöpfung. Auch die Musik hat sie zusammen mit der Mathematik, wie die Bau- und Ingenieurkunst schlechthin: Dimension und Proportion, Modul und Teilung bis hin zum Akkord und Rhythmus sind die Dinge, in denen die Künste unter sich und mit den Strukturen in der Natur geschwisterlich verwandt sind. Es ist die malerische Meisterschaft, die im Häuser-Zyklus 1987-1990 unvergänglich bleiben wird und nicht der abgebildete Gegenstand.

 

BRIGITTE MARSCHALL

Institut für Theaterwissenschaft der Universität Wien

Landschaftsräume Körperbilder

Die Felder und Ackerfurchen wölben sich bis zum Horizont empor, von verhaltenem, düsterem Sonnenlicht durchflutet wird die Weite der Landschaft erfahrbar. Alles ist expressiv und wild. Überhaupt ist die Natur bei Viktor Lederer stets wach, aber auch geprägt von Einsamkeit, ein Ort, an dem der Mensch sich und sein Leben befragt. Die Vehemenz der aufgewühlten Sinne verwandelt sich im Augenblick höchster Intensität in melancholische Stille - ein Bild magischer Verlassenheit, das an den Zyklus der Natur denken lässt und ihrer ewigen Wiederkehr. Seltsam der Geruch dieser Erde, dieser Blüten und Früchte.

Als gelte es hartes widerstrebendes Material zu bearbeiten, schlägt Lederer Wege und Lichtungen aus der Materie, die Bäume am Wegrand stehen eng beisammen, sind eine dunkle Bergkette geworden. Vom hypnotisch- leuchtenden Rot getäuscht, verwandelt sich das träge Gemurmel von Grün in eine vielstimmige Symphonie aus Farben. Lederer sprengt die Farben aus ihrem selbstverständlichen Eingebundensein in die Landschaft, hebt das rote Ocker als Eigenständiges ins Bewusstsein, doch die vulkanische Energie des Kosmos lässt sich kaum domestizieren. Die natürlichen Pigmente liegen in der Erde verborgen und müssen ausgegraben werden. Die Schwermut der Landstriche und Abhänge drängt in den Vordergrund, als könne sie sich mit der Beschränkung auf eine zweidimensionale Fläche nicht zufrieden geben. Der explosive, beinahe rauschhafte Pinselduktus verbindet die Risse und Vertiefungen der Zeiträume. Ekstatische Momente, in denen die Natur ihre Feste feiert.

Der den Landschaften innewohnende, immanente Charakter des Unmittelbaren verleiht ihnen, mögen sie noch so sehr in ihren Materialien als Dauerndes realisiert sein, etwas Momentanes, Verlöschendes. Diese Kunstwerke sind ein Stillstehen - wie dynamische Objektivation, schroff in ihrer unnahbaren Würde. Die Natur selbst ist Handlungsträger und entwickelt in ihrem Vorwärtsdrängen Reibungsflächen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Lederers Bildthemen fragen nach dem Verbleib des Verschwundenen, schaben die Oberfläche auf, schichten mit dicker, erdiger Farbpaste physische Realität auf. So als verberge die vergängliche Materie, indem sie sich verändert, mit der Zeit ausbleicht, trocknet, bricht und absplittert, noch etwas anderes, darunter Liegendes. Mit schwerem Gewölk verdeckt der Horizont die Tiefe des Raumes, ungebrochen und schattenlos verweht das Licht des Tages. Ein letzter Glanz lässt die schweigende Ebene aufleuchten, bevor die Nacht sie auslöscht.

Verfolgt man die Tendenzen seiner malerischen Entwicklung der letzten Jahre, setzt die konsequente Suche nach elementarer Abstraktion bewusst auch epische Zeichen. Lyrische Passagen befrieden die Unerbittlichkeit der Natur. Bäume, Wiesen und Felder umschließen kleine bäuerliche Anwesen und Häuserensembles, in denen einst an den Abenden die Bewohner beisammen saßen und Geschichten erzählt wurden. Die Wege, von winterdürren Bäumen und Astwerk gesäumt, geben schmale Ausblicke frei auf weißgekalkte Bauten, auf Dächer, die Kamine in den Himmel schieben. Eine Ordnung, die im Bilde entsteht, und nirgends sonst, oszilliert zwischen Erkennen und Wiedererinnern an bereits Geschautes, das mit der Verkörperung der Seele vergessen wird. Die distanzierende Ferne suggeriert einen Standort jenseits der Bildwelt, um andererseits Farbkörper in den Leib der Bildräume einzubetten. So verlieren die thematischen Bildkompositionen direkte landschaftliche Bezüge und verweisen in ihrer exemplarischen Gültigkeit auf sinnlich fassbare Landschaften.

Dumpf der Flügelschlag der fließenden Zeit, aufgescheucht vom Widerhall der stillgelegten Sandgruben und Kieswerke. Gedenksteine der Abbauprozesse, des Zerfalls. Die spröde Strenge und verhaltene Farbsetzung erzeugt eine dramatisch- dissonante Stille, die aus den Bildern hervorbricht, sie verwandelt, ihnen eine eigentümliche Schwermut und Einsamkeit verleiht. Schroff ragt der Fabrikschlot, einem Leuchtturm gleich, aus seiner fortschreitenden Überwucherung. Dunkel und ausgemergelt scheint er außerhalb der Zeit, gleichsam in der Ewigkeit, zu existieren. Erinnerung und das Vergessen gehören untrennbar zusammen. Das Erinnern und das Präsentsein im Akt des Bewusstseins müssen immer wieder neu gewonnen werden, die Bilder als Spur gelesen werden. Zwischen den Felsblöcken des Steinbruchs wuchern die efeufarbenen Dünste, die sich wollüstig betäuben und das verlassene Gelände narkotisieren. Die Farbe wirkt übersatt, so steht ein schreiendes Rot neben giftigem Gelbgrün. Am Rande und in den Spalten des Kosmos lauert einiges, das sich den Regelungen der Natur entzieht. Lange Rufe lassen die Sträucher erschaudern. Ein bloßes Sehen, das durch kein Sehbegehren in Gang gehalten wird, müsste in der Monotonie der Wahrnehmung ersticken. Echotöne umkreisen den Steinbruch, verwandeln ihn in Rundplastiken, die Raum schaffen bis hin zur Neuakzentuierung in den steinernen Fresken der Gegenrhythmen und Grenzgänge eigener Beunruhigung. Das Eigene fügt sich nun bruchlos zu einem Ganzen zusammen, zerlegt die Oberfläche in lavaartige Strukturen. Die Vorliebe für kontrastreiche Blaugrün- und Orange-Rot-Töne nutzt die Spannung der Farbvaleurs, die als vibrierende Rhythmik die Bildkomposition durchpulst. Doch die Landschaft, das Licht, das sie wie ein bei Ebbe träge fließendes Meer überflutet, das ist die in ihrer Präsenz unwiderstehliche malerische Gestaltung.

In einem Stillleben, das sich bei eingehender Betrachtung zu einer Vase mit Feuerlilien auf einem Tisch auflöst, benutzt Lederer die leere Leinwand zur Präsentation der Gegenstände, und durch einen intensiven Farbauftrag lösen sich die Facetten selbst in einem Fluss von Licht und Schatten auf. Die Stillleben scheinen für Momente den Gedanken an die Vergänglichkeit anzuhalten: die Konturen sind deutlich und fest und doch wie vibrierend.

Seine Stilllebenarrangements zeichnen sich durch größte Einfachheit aus. Kleine Sträuße in einfachen Vasen genügen ihm da. Doch durch den Nuancenreichtum der Farben und durch die Präsentation und Wahl der Bildausschnitte werden die dornigen Zweige der Hagebutte zu einer Kostbarkeit und korrespondieren mit den Hecken und Stauden draußen in der Kammlinie des Hügels. Man glaubt ein Knistern der trockenen Felder zu hören, aber ein Blick zerstreut die Geräusche und der Wind drückt den Leidenschaften die Kehle zu.

Lederers Akte könnten auf dem ersten Blick eine Landschaft mit Steinbruch darstellen. Der nackte Frauenkörper ist nicht gleich zu identifizieren. Die Akte wirken ebenfalls wie eine sich verlierende und verfließende Landschaft; damit gleicht die weibliche, liegende Figur in ihrer bewusst langgestreckten Anatomie dem Pflanzen- und Baumwuchs der Landstriche. Die Landschaft gehört zu ihnen, wie sie Teil der Landschaft sind. In seinen Akten fordert Lederer wie in seinen Selbstbildnissen zum Sehen und Erkennen auf. Der eigene und der fremde Körper sind zum Medium der Selbstentäußerung, zur autobiographischen Spurensicherung geworden. Die Aufwärtsbewegungen, bisweilen erstarrt und in den großzügig gesetzten Farbflächen nur angedeutet, werden in den Konturen der Körperformen wieder aufgenommen. Die weiblichen Körper sind aber mehr als bloß farbige Konfigurationen, die das Kompositionsgerüst einer Bildidee stützen. Im Augenblick des Posierens wird etwas bewusst, was der Blick-Effekt eines Anderen, des Betrachters, genannt werden kann: eine Verschiebung des Selbst, denn in der Pose verwandelt sich der nackte Körper im voraus zum Bild.

Lederer treibt den Leib an die äußerste Grenze des Übergangs in abstrakte Skulptur, erforscht die Fragmentierung des Volumens. Die Nacktheit des Menschen als Ausdruck ursprünglichen und zuständlichen Seins bedarf keiner symbolischen Rahmenhandlungen. Kostümierungen wie Tücher und Hüte sind selten, Posen und die Situation des Ateliermilieus nur angedeutet. Das Aktmodell ist zwar ausgezogen, aber in seiner eigenbestimmten Körperlichkeit kann es niemals nackt sein. Ihr direkter Anblick bleibt dem Betrachter verwehrt. Stattdessen wird er mit heftig bewegter Körperlichkeit konfrontiert. Malerei erscheint als Akt physischer Energie, die malerische Tätigkeit und Persönlichkeit des Modells identisch werden lässt. Die Frau erscheint als Inkarnation von Körperlichkeit, die Masse der Brüste droht die gesamte Malfläche optisch zu sprengen. Voluminös und raumgreifend laufen sie den vorherrschenden Idealen weiblicher Fragilität zuwider. Der Betrachter wird gleichsam brüsk in einer Art „Naheinstellung” aufgefordert, in das Atelier des Malers einzutreten und gerät unverzüglich selbst in die Rolle des Zeigens.

Das Beiläufige, das Gewöhnliche, die Normalität eines alltäglichen Seins, zeichnen diese Arbeiten aus. Lederer zeigt an seinen Modellen die ihnen eigene Befindlichkeit: verhaltene Traurigkeit, Melancholie, Lebensfreude und persönliche Lebensgeschichte. Unverdeckt die erotische Emanzipation, die Ausstrahlung liegt in der physischen Derbheit einer wenig formalisierenden Pose. Das düstere, häufig schwere Kolorit, das bisweilen von aufschreiend heller Farbigkeit durchbrochen wird, gibt den Frauenfiguren Lederers etwas Archaisches. Die Aktdarstellungen lassen sich nicht in symbolisch überhöhte Raster pressen, fordern durch ihre Unmittelbarkeit heraus: keine inszenierte Gestik, keine Korrektur körperlicher Mängel, keine ästhetisch stilisierte Animation. Die grünlichen Schatten des Inkarnats und das hektisch aufgetragene Gelb auf Wangen und Bauch sprechen allein schon gegen makellos schöne, leblose Geschöpfe.

Im Werk von Viktor Lederer werden die dargestellten Realien mehr und mehr zurückgenommen. Die Umrisse des weiblichen Körpers, sind gerade noch zu benennen. Auch die Landschaftsmotive werden gleichsam als Vorwand genommen, um daraus nach seiner künstlerischen Sicht ein Bild zu formen. Wunderlich einsam wie der Vogel, dessen Lied als Prophetie der Einsamkeit zu verstehen ist. Das Ruhelose in der Stille der Landschaft, das Statische in der Wandlung und Veränderung, das beschäftigt Lederer. Kahle Landstriche verwandeln sich in üppiges Dickicht aus Farben, dazwischen verläuft ein schmaler Weg dicht am Horizont, am Bergrücken entlang. Nur die Phantasie, der Traum machen diese Grenze unkenntlich. Die Sehnsüchte und Erinnerungen leben fort in den Landschaftswelten und Körperbildern, kein Labyrinth verstellt ihnen den Weg. Die Wolken schneiden sich am Gipfel und brechen sich am felsigen Gestade des Kosmos. Das Laubwerk formt sich schwankend zur Baumkrone. Die Sonne im Rücken, unserem Schatten nach, so wandern wir Nomaden gleich durch die Erfahrungswelten unseres Bewusstseins. Wer weiß, wohin uns die unauslotbare Luft trägt?

 

Menschen Landschaft Farbenklänge

Geschärfte Sinne, nie ruhende Bewegungen der Hände und der Arme, die bisweilen ausgreifen bis in die entferntesten Winkeln seiner physischen Natur und in blitzschnellen Sprüngen etwas Unberechenbares im Flug erhaschen und auf die Leinwand bannen wollen, sind die Kräfte, die Viktor Lederer für sein Werk einsetzt, an dem er seit rund vierzig Jahren arbeitet: Bilder zu schaffen, deren jedes zu einer unmittelbaren Antwort wird, indem der Künstler bald die Blendung fixiert, die seine Augen in einem entscheidenden Moment vor den ausgedehnten Landschaften erfahren, bald seine unablässig arbeitende Phantasie festhält, bei der die Natur zwar im Spiel ist, doch als Ursprung und nicht als direktes Abbild. Eine Natur, die keine Ruhe kennt, weil antagonistische Kräfte sich in ihr gegenüberste­hen und manche ihrer Bewegungen nur durch Überrumpelung dingfest zu machen sind.

Lederers persönliche Mitteilungen über Episoden und Details seiner Lebensge­schichte sind karg, schweifen aber gerne ab in Bereiche der Kultur- und Geistes­geschichte, führen auf Umwegen zur Beschreibung und Charakterisierung anderer Künstler und Zeitgenossen, um übergangslos ins Zentrum seiner Bildwelt zurückzukehren, in deren Mittelpunkt sich nunmehr der Betrachter selbst wiederfindet und seinerseits mit Fragen konfrontiert wird. Doch keineswegs lässt Lederer den einmal auf diese Weise Nähergerückten innehaltend alleine, sondern führt ihn vielmehr auf assoziative Weise zu existentiellen Erfahrungen, die wiederum grundlegende Komponenten seiner Werke beinhalten.

Die frühen Bilder mit ihrer anfänglich verhaltenen Statik und ihren eindeutig umrissenen Konturen bezwangen nur vorübergehend den Malduktus von Viktor Lederer, der doch selbst allzuoft farbgepeitscht davoneilt: Dinge und Menschen umkreist, beobachtet, lockt und eintaucht in die spannungsgeladene Dynamik und eruptive Sinnlichkeit seiner Farbströme. Lederer erschließt sich die magisch leuchtenden Schichten der Landschaften durch Erkundung ihrer Lebensadern und inneren Struktur. Unerbittlich und ohne beschauliche Augenblicke von Zuge­ständnissen in Richtung satter Selbstzufriedenheit geht er auf die Bildthemen zu, rückt sie näher, vitalisiert sie, wägt nur kurz ab, ist begeistert, zugleich fordernd und liefert sich aus bis zur körperlichen und geistigen Erschöpfung. Orte und Symbole von Nähe und Ferne, des Werdens und Vergehens intensivieren diese Form seiner dynamischen Annäherung, die das helle Tageslicht nicht fürchtet und die auch kein Hahnenschrei in die Flucht schlägt.

Viktor Lederers Landschaften und Stillleben, seine Porträts und Akte begleiten ihn als Lebens- und Bildthemen und suchen die visuelle Schönheit durch die lyrische Ergriffenheit des Temperaments zu steigern. Dieses Temperament lebt aus einem leidenschaftlichen, sinnlichen Vergnügen an der Farbe und ihrer Materie. Wenn Lederer einen Gegenstand, eine Landschaft, Blumen, die Verlassenheit der Häuser und die Einsamkeit ihrer Bewohner betrachtet, so entdeckt sein den vergessenen Dingen und den Menschen zugewandtes Sehen die Kargheit der verwehenden Schönheit und die Passion der Leidenden. Wege und Lichtungen durchbrechen die Himmelsrichtungen, die Bergkuppen, Ebenen und unsichtbaren Ströme. Seine Augen folgen ihren Spuren, und mit ihnen nimmt er so auch immer die Um­gebung, das Klima, die Tages- und die Jahreszeiten wahr. Gerüche und der innere Rhythmus der Natur beginnen gleich Klangkörpern zu tönen und schließen sich zu sonoren Farbakkorden zusammen. Einsamkeit lastet über der spröden Schwermut der ausschnitthaft präsentierten Weite der Landschaft. Gegebenheiten, die die Dinge nicht nur bezeichnen, sondern sind. So schafft sich Lederer Raum für seine Imaginationen und Erkundungen. Das Vereinzelte hat darin ebenso Platz wie das Persönliche, das Verallgemeinerte, das Vage wie das Präzisierte, das Angeschaute wie das Gedachte, die Erinnerung wie das Zukünftige. Lederer hüllt die ausdrucksstarken Gesichter und krummen Häuserzeilen in den melancholi­schen Klang ihrer dunkel tönenden Farbigkeit, die selbst noch im Verfall Erhabenheit ausstrahlt.

Die in den frühen 60er Jahren gemalten Porträts sind von preziöser Strichführung umhüllt, gleichsam vom dunklen Zauber lyrisch- verlassener Momente eingefasst. Die Farbpartikel formen Umrisse, die wie die Steine eines Mosaiks die ganze Bildfläche überziehen. Die Sprache der Hände und Gesichter der Bauern und Tagelöhner, aber auch die der Kinder macht die Form dumpf und beladen von einer lastenden dramatischen Ausdruckskraft, die in den erdigen Stillleben jedem Effekt ausweicht. Die Herbheit burgenländischer Dörfer und Landstriche, die untrennbar mit menschlichen Schicksalen und Lebensläufen verbunden sind, leistet dem Idealbild einer ruralen Idyllik vehement Widerstand. Die Konstruktion des Bildes, Flächendekor und Raum, arbeitet mit gegenständlichen Konstellationen und ihren Hinweisen. Die Farbformereignisse werden noch in die Haltepunkte des Gegen­ständlichen eingehängt.

Obgleich Lederer die Titel seiner Bilder mit topographischen Angaben versieht, Detail-Verbrämung am Rande, gibt seine Malerei nicht die Landschaft wieder, sondern die Vermittlung des Landschaftseindrucks als eine atmosphärische Momentaufnahme, in der sich das Flüchtige des ewigen Wechsels gegenüber der anscheinenden Beständigkeit des irdischen Festen als überlegen erweist. Die Formation des Wolkenhimmels nutzt Lederer zur Dramatisierung der Landschafts­komposition. Der Landschaftsraum ist zum inneren Bewusstseinsraum, zum Lebensraum geworden, der sich entsprechend im Außenraum der Wahrnehmung spiegelt. Am Funkenschlag ihrer Begegnung entzündet sich der Wechsel von vibrierender Nähe und bedächtiger Distanz zum Geschehen. Immer wieder stößt der Mensch in dieser Landschaft auf Widerstände und muss sein Gleichgewicht beim Gehen wohl kalkulieren und bedenken. So wird das Gehen zur Denk-Bewegung, zum Gang durch die Jahrhunderte der Geschichte von Natur und Kultur.

Erst nach und nach lockert die dunkelschimmernde Farbdecke auf, ein aufleuchtendes Gelb, ein Flecken Rot finden sich ein. Mit dem Rot öffnet sich ein Ausweg in den Farbraum, der das Sehen zu einem Abtasten der Bildstrukturen führt. Die Farben werden bewegter und verwandeln die Landschaftsmotive in ein vibrierendes Medium aus Licht und Raum. Das Mondlicht nimmt den Hausfassaden ihre Schwere und entrückt sie der Wirklichkeit. Die Felsklippen und Erntefelder, an einem glühend heißen Tag gemalt, erscheinen pulverisiert, wie verdunstet von der Hitze, die den Himmel in den Zustand eines aufgewühlten Farbsturms versetzt. Die Wirklichkeit ist von Licht zerstört, das die räumliche Tiefe der Bilder aufsaugt und den Wellenkamm der Farben vor sich hertreibt. In unruhigen Strängen bewegt sich die Farbe in einem zuckenden Rhythmus, bildet splitternde Kontraste, Einklänge, Wirbel, legt aber in diesem Voranschreiten Konturen des Gegenständlichen fest, Zeichen für Landschaft und Mensch.

In den späten 80er Jahren ist alles graphisch Markierte, geometrisch und figural Umgrenzte zurückgedrängt. Nacheinander nimmt Lederer sämtliche Elemente weg, ohne dass das Bild auch nur im Geringsten seine Schärfe verliert. Das zerbrochene Blau und die Künstlichkeit des Kardinalrots gepaart mit Purpurlila überziehen den Himmel mit schwer lastender, rauchiger Farbmaterie. Das Brachland mit Pappeln treibt den Pinselduktus wellenförmig vor sich her, wie die untergehende Sonne, die jäh in den Abgrund der Nacht stürzt. Die Bildoberfläche mit aufgeplatzten rostbraunen und grellgelben Farbattacken fließt und pulsiert. Die Farben bilden Krater und Spannungsfelder und sprühen aus dem Handlungsmoment des Bildraums. Daneben stehen krustige und pastose Konturen, die unmerklich im Flächengrund verschwinden. Himmel und Erde scheinen die Erntelandschaften auszubrennen und ihre glühende Fruchtbarkeit im Horizontschatten zu löschen.

Die lichtdurchflutete Atmosphäre der Landschaft führt von den Behausungen des Draußen in das Innere der Häuser. Dort scheinen sich die Stillleben und Porträts wieder mit den Stimmungen der Landschaften zu vereinen und bilden mit diesen eine sinnlich erfahrbare Synthese. Obgleich die Blumenpracht in Gärten gezähmt und zu Sträußen und Arrangements gebunden wird, lassen Lederers Stillleben ihre geistige Verwandtschaft mit den Feldern und der unbehausten, wildwuchernden Natur erkennen. Durch die kantige Verkeilung der Farbflächen erreicht Lederer den optischen Eindruck von winkelig geschachtelten Farbebenen, die gassenförmig in Höfe und Anwesen führen. Farbpigmente und Schatten huschen durch Fensternischen und fragen nach den Bewohnern dieser Häuser, die sich gebückt und krumm in die Landschaft eingewachsen haben. Haus und Mensch scheinen eins geworden zu sein. Ein aufgelassener Hof bildet sich langsam wieder in Natur zurück, überwuchert von.den Jahresringen der Vergangenheit. Die Menschen, die dieses Haus bewohnten, scheinen nachträglich einer anderen Zeitrechnung angehört zu haben. Ein Vibrieren der Farbkompositionen überspannt netzartig mit poröser Transparenz die Ansiedelungen und Gärten, die wie in einem farbigen Luftraum schweben. Pastose und krustige Partien unterbrechen die strömenden Bildfelder und kratzen aus den farbigen Kraftlinien die Konturen eines Maulbeerbaumes. Blätter flackern im Wind und überziehen die Atmosphäre mit rätselhaften Zeichen und Symbolen. Farbranken beleuchten Hügel und Sträucher, sprengen mit ihren spröden Konturen aufgelassene Steinbrüche auf.

Gedanken an Archaik und Ausgesetzt- Sein verleihen dem Steinbruch raumschaffende Komponenten. Durch blockhaft geschichtete Farbsteine erzielt Lederer einen monochromen Effekt. Die Farbschichten tragen so zur Mumifizierung des Architektur-Körpers bei, der sich in ein monumentales Landschafts-Denkmal verwandelt hat. An ihm scheinen die Zeitkategorien, Vergangenheit und Zukunft, zu zerschellen. Der Betrachter wiederum ist durch eine eigenartige Faltung der Zeit in sein eigenes Verstehen versetzt. Es entstehen Darstellungsmomente, die nicht zwischen Nähe und Ferne unterscheiden. In der lastenden Dunkelheit des Blau wird die Unbeweglichkeit festgeschrieben. Von Schatten ergriffen werden Flüchtigkeit und Dauer aufeinander bezogen. Die stürzende Perspektive mündet ein in eine stillgelegte Sandgrube, die noch jenen schwankenden Halt zu geben vermag, den die bodenlose Materie verwehrt. Die Verwischung der Farb- und Strichlagen gibt keinen Ausblick jenseits der Bildgrenze frei, steigert sich zu einem Raum ohne Zuflucht. Ein farbiges Netz, über die gesamte Bildfläche geworfen, hebt und senkt sich und wird zu einer alles umfassenden Struktur. Blick und Bewusstsein haben die mittleren Jahre erreicht und entsprechend fällt auch das Licht anders auf die Landschaft: ein Prozess, in dem Dauer und Flüchtigkeit einander begegnen und die an den Rändern sich auflösenden Gesteinsformationen mit einem rauchig rötlichen, orange tönenden Farbnebel überziehen. Verwischte Spuren des Erinnerns im erdigen Geruch wachsender Überlagerungen von Raum und Zeit.

Bis auf den Knochen, bis zum Unzerstörbaren schabt Viktor Lederer an der Oberfläche und legt einen Tierschädel frei, in dem sich die Vergangenheit für immer summiert hat: plastisch-düstere Funde eingepflanzter Natur. Als memento mori wird der Tierschädel zum Symbol der Vergänglichkeit. In der lastenden, tonigen Dunkelheit wird die Randunschärfe zu einer flüchtigen Geste, die zugleich Stabilität und einen unbeirrbaren Lebenskreislauf verheißt. Auch die Stillleben mit Azaleen, Pelargonien oder Feuerlilien sind raffinierte Inszenierungen: Arrangements wildwuchernder Natur, die gezähmt und kultiviert in den Wohnbereich gebannt werden. Farbe und Pinselstruktur verbinden Blumenvase und Hintergrund. Die gespachtelten Farbschichten kratzen die Fläche auf und zeichnen reliefartig den schweren Geruch der Lilien nach. Mehr als der feinmalerischen Wiedergabe stofflicher Qualität schenkt Lederer der Modulation der Farbe als Gewinnung von Raum und Plastizität durch Fläche seine Aufmerksamkeit. In schräger Aufsicht wachsen die Blüten der Pelargonien- und Dahlienstöcke aus den Schraffuren der Farben heraus. Da in den Stillleben inszenierte Details und kunstvolle Arrangements nahezu gänzlich fehlen, haftet ihnen immer die unendliche Weite der freien Natur an. Eingeschrieben in den sie umgebenden natürlichen Lebensraum scheinen sie sich nur vorübergehend zu einem arrangierten Bukett zu ordnen.

Unmittelbar und hautnah berührt wird menschliche Existenzerfahrung durch die Darstellung von Nacktheit. Das Thema Akt ist in der bildenden Kunst ein Sujet, das zutiefst unsere Selbstwahrnehmung betrifft und die Körperlichkeit des Menschen als Naturzustand bewusst hält. Erst in der Nacktheit wird der unentfremdete, kreatürliche Zustand der elementaren Sinneslust, der wortlosen Sprache des Körpers sichtbar. Die moralischen Wertvorstellungen und gesellschaftlich vermittelten ästhetischen Schönheitsnormen haben ihre Bedeutung verloren. In ihrer raumgreifenden Fleischlichkeit zeigen die weiblichen Halbfiguren ihren Leib. Lederer setzt im Kontrast zu dem ermüdet scheinenden Antlitz autonome Zonen angespannter Energie. Die Akte sind durch den breiten Farbauftrag und ihre ausladenden, voluminösen Proportionen nicht als Schönheitsideale, sondern, durch die malerische Unterscheidung ihrer Körperlichkeit, als Individuen gekennzeichnet. Ihre erotische Ausstrahlung liegt in der physischen Derbheit einer wenig formalisierten Pose. Lederers Aktdarstellungen lassen sich nicht in symbolisch überhöhte Raster pressen, genau sowenig wie sie Vorlagen für weltanschauliche oder metaphysische Sinnbildlichkeit abgeben. Die Situation, in der sie festgehalten wurden, ist zu alltäglich. Aber gerade das provoziert und macht spürbar, dass sich hier ein Maler weder Lust noch Interesse versagt hat, den nackten Körper, seine Bewegung und Farbigkeit künstlerisch umzusetzen.

Die Aktgemälde haben das Raum-Körper-Verhältnis wie dessen Festlegung noch nicht überwunden, die abstrakte Auflösung der räumlichen Großform steht noch aus. Die ausladende Dominanz des Körpers verschafft den Modellen die Anmutung einer näherrückenden Distanz. Der helle Farbleib, wie ausgeschnitten vom dunklen Hintergrund getrennt, vereinigt sich mit den Decken und Kissen, Strümpfen und Tüchern. Das schmückende Beiwerk unterstreicht die nackte wie verhüllte Körperlichkeit. Obgleich Teil des Raumes und seiner Ordnung erscheint die Frau autonom, selbstbewusst als Leibraum. Der Blick der weiblichen Modelle ist verschlossen und in eine fast sakrale Ferne entrückt. Den Blick auf sich ziehend, lädt die von Sinnlichkeit erfasste Körpersprache ebenso dazu ein, den Blick schweifen zu lassen. Die Zeit mit toniger Farbe betupft, als würde der Pinselstrich ihnen Blut verleihen und an die Oberfläche gezogen werden. Beinahe haben die Akte mittels geringfügiger Retuschen und durch eine Phase der Kontemplation die Eigenschaft von Skulpturen angenommen. Das nackte Mädchen mit den prallen Brüsten präsentiert sich ohne symbolische Bezüge, Rahmenhandlungen und Kostümierungen. Körperhaltung und Gestik werden in den Gemälden von Lederer als subjektive, selbstredende Ganzheit begriffen. Die bildnishafte Nähe ist zurückgenommen, die Gesichtszüge durch den jeweils leicht geneigten Kopf fast verwischt. Mitunter schlägt das „Sich-Zeigen” in ein „Sich-Entziehen” um. Der stabile, frontal aufgefasste Oberkörper mit der leichten Drehung des Kopfes verweist auf situationsübergreifende Bezüge und kehrt in den Selbstbildnissen wieder.

Das Selbstbildnis gibt Auskunft über das zurückgeworfene Spiegelbild und die schöpferische Selbsteinschätzung. Der vom Spiegel provozierte reziproke Monolog erfährt dadurch eine wesentliche Erweiterung. Die künstlerische Selbstwahrnehmung realisiert sich erst dann, wenn sie an den Betrachter weitergeleitet wird. Das Selbstporträt wäre somit das überzeugende Medium der Darstellung authentischer Identität oder als deren Problematisierung anzusehen. Aber der Spiegel, Basis allen selbst bildnerischen Schaffens, ist ein doppelsinniges Gerät. Er wirft das Bild einer physischen und psychischen Einheitlichkeit zurück. Oder ist es vielmehr der Spiegel, der es erst erlaubt, Ich-Identität als Abbild in einer dafür präparierten Glasscheibe wahrzunehmen? Wie der Spiegel gibt auch das Selbstbildnis von Viktor Lederer keine klare Antwort auf ein stabiles Ich und bleibt vielmehr doch Wiedergabe seiner Instabilität. Das Selbstbildnis wird eingebunden in Lederers Verletzbarkeit und Unruhe. Fern jeder satten Selbstzufriedenheit kehrt Lederer die weit geöffneten Augen nach Innen und hält dem Blick des Betrachters stand. Lederer starrt aus dem Bild und versieht es mit spöttischen Zügen. Die Selbstthematisierung umkreist so auch eine fortschreitende ironisierende Distanz.

Gegenüber Lederers Ölbildern beginnen die komplementären Begriffe „gegenständlich” und „abstrakt” zu versagen. Diese besondere Gestimmtheit verleiht den Bildern eine Gegenwirklichkeit, in der sich die Natur im lebendigen Vollzug ihrer Lebensregungen einzeichnet und Lederer auffordert, seinerseits sein Erlebnis der bewegten Natur malerisch mitzuteilen. Auf der Oberfläche begegnet man raummodellierenden Farbgründen, in denen scharf umrissene, fließende Figurationen eingebettet sind und über die ein manchmal fahriger, manchmal grob und bengalisch durchfurchender Farbakkord kreist. Gewiss, abstrakte Bilder, doch erfüllt von einem Daseinsgrund, der die Einsicht in das uns umgebende Natürliche fassbar macht. Da ist nichts Selbst beschauendes, Autistisches! Über diesen ganz den eigenen Sinnen nach horchenden Bildern liegt die Ahnung eines tieferen Zusammenhangs dieser persönlichen Ausdruckswelt mit dem Universellen in und um uns.

 

Lebenszeiten Erinnerungsorte

Bilder vom täglichen Leben

Die Ölbilder von Viktor Lederer sind nicht nur als Kunstwerke zu betrachten, sondern auch als Dokumente der Zeit. Sie erzählen von der Zeit ihrer Entstehung, von der Gesellschaft, in der sie gemalt wurden und von den Interessen des Malers Viktor Lederer. Zeit-Geschichte in Bildern könnte man eine Serie von Werken nennen, die in den frühen sechziger Jahren in der burgenländischen Dorflandschaft entstanden sind. Für den Betrachter aus heutiger Perspektive bedeutet dieser Werkzyklus eine Reise in die Vergangenheit, in denen er über die Schwelle der Zeiten eintritt in Bauernhöfe in Trausdorf und Oslip, in Getreideschüttkästen und in die Häuserzeilen in St. Margarethen und Stadtschlaining. Dabei wird er auch den Bewohnern begegnen, ihren Alltagsleben und Schicksalen: den krummen Wegen ihrer Lebenszeiten. Nichts von ihren Lebensumständen, nichts von ihren privaten Sorgen blieb dem Maler verborgen. Mit dieser malerischen Historiographie hat Lederer vor Jahren abgeschlossen. Allzu markant verwandelte sich der Charakter dieser Dörfer und Höfe, auch in das Milieu der Taglöhner, Mägde, die Lebensweise dieser Menschen vielfach nur mehr erinnerte Geschichte.

Die Sonne geht unter, Schatten kriechen aus ihren Schlupfwinkeln hervor und beleuchten die Höfe und Landstriche mit einem magischen Licht der Dämmerung. Das weißgekalkte Mauerwerk kerbt ihre monumentalen Umrisse in das Antlitz der Tageszeiten; die widerum rufen ihre stetigen Begleiter herbei: die Jahreszeiten. Karg, schmucklos, auf das wesentliche reduziert verschiebt und verschränkt Lederer Architekturteile, lokale Gegebenheiten und organisch Gewachsenes miteinander. Obgleich die tektonische Komposition, der streng formalisierte Bildaufbau diesen Bildern Bodenhaftung und Beharrungsvermögen verleiht, kündigen die oft fensterlosen Fassaden schon ihre Unbehaustheit und ihre substantielle Todesstarre an. Naturgeformte Proportionsverhältnisse werden zum Spielmaterial für Perspektivwiedergaben und Raumkonstruktionen. So teilt sich dem Betrachter einen innere Unruhe, eine nur mühsam maskierte innere Spannung mit. Oft meinen wir verschiedene unverbundene, hintereinandergestaffelte Raumpläne vor uns zu haben. Wir werden ins Leben entlassen – und sind in ihm gefangen. Die architektonischen Konstruktionen lassen uns der schicksalhaften Verknüpfungen nachsinnen. Der unauflösbaren Geometrisierung des Raumes entsprechen unsere verräumlichten Erinnerungen an Plätze und Städte der Kindheit. Lederer gelingt die suggestive Darstellung eines kontinuierlichen Lebensimpulses, aus dem heraus sich sowohl die distanzierende Leere seiner Architekturmotive erklären lässt als auch das Heimweh nach Menschen, die in der dämmrigen Stube Licht anzünden.

Für das alltägliche Leben ist das Genre zuständig, doch Lederer erlöst es von der schablonenhaften Typisierung, bindet seine Bilder von Menschen wieder zurück an die Natur, an ihre Realität. Die Harmonie von Mimik, Gestik, von Gesichtsausdruck fördert das Differenzierungsvermögen, und misst den Einzelnen an seinen Handlungen, drängt die lange unterdrückte gesellschaftliche Position, das Soziale schrittweise ins Bewusstsein. Die sichtbare Realität korrespondiert mit den psychischen Gegebenheiten des Menschen, wie umgekehrt sich seelische Befindlichkeiten auch in Konstellationen der äußeren Welt  wiederfinden. Knapp und schlicht erzählen die Portätierten Geschichten aus ihrem Leben, bestimmt von Arbeit, von Festen im Jahreskreis, von Entbehrung, Freude und Trauer. Das Zusammenspiel von Gesten und Blick, vom Ausdruck der Körperhaltung bis hin zur Kleidung verklammert die persönlichen Bezüge mit der Darstellung menschlicher Grundsituationen. Die Mittel der Farbgebung werden zurückhaltend eingesetzt.

Im ganzen ergibt sich ein erstaunliches Bild aus Tradition, Erkenntnis und Vermutungen, wenn zugleich auch die alten Legenden im Spiel sind, die Sagen von den mystischen Ereignissen des Schicksals dieser Dorfbewohner, deren Leben mit und in der Natur beschlossen liegt. Das Zwielicht zwischen dem Wahrscheinlichen und dem Unwahrscheinlichen, zwischen Wunsch und Zweifel ist dabei unentbehrlich. Tragik und Komik versöhnen die unerschiedlichen Lebensalter und lassen sie eng nebeneinander wohnen. Man spürt die Teilnahme des Malers an den Lebensabschnitten der Bäuerinnen, mit ihren schwieligen Arbeitshänden. Zugleich hebt Lederer seine porträtierten Figuren aus einer nur privaten Sphäre heraus und schafft Bilder, die sich jeglicher provinziell-begrenzter Sicht und pathetisch-ländlicher Dorfidylle entsagen und gewinnt somit eine zwingende Allgemeingültigkeit menschlicher Lebens-Schicksale.

  

HANNES NIEDERLECHNER

Altstadtgalerie Hall

Das Malen ist eine schöne Sache: zumindest sollte es dies sein. Nicht mit Krampf dürfte gemalt werden, sondern immer voll Lebensfreude, aus Lust daran, dass etwas Schönes entsteht, dass es Farben und Formen in unserer Umwelt gibt”, so der frühere, langjährige Direktor des Historischen Museums der Stadt Wien, Dr. Robert Waissenberger, anlässlich einer Ausstellung Viktor Lederers auf Schloss Kittsee im Jahre 1982.

Und Lebensfreude ist es auch, die dem jugendlich wirkenden Künstler, der, kaum zu glauben, 2005 bereits den siebzigsten Geburtstag feierte, die Zahl der Jahre vergessen lässt. Noch gut erinnern kann ich mich an seine damaligen Worte:„Man ist soalt, wie man sich fühlt! Ein runder Geburtstag ist nicht unbedingt eine Auszeichnung, denn älter wird man automatisch. Außerdem habe ich soviel zu tun. Es gibt so vieles, was mir im Kopf herumgeht, was ich noch auf die Leinwand bannen muss!

Vernissagen und der Rummel um seine Person sind Viktor Lederer ein Gräuel. Es hat ihn aber dann doch gefreut, dass Dr. Helmuth Zilk seine „Jubiläumsausstellung” eröffnete! „Gut war er”, gesteht Lederer, „ sehr gut sogar, sehr humorvoll und mit Schmäh, sie wissen schon, die Akte, seiner Meinung nach meine zweite Pubertät ... ", und er lacht.

Ja die Akte! Sie sind es vielleicht auch, die am unmittelbarsten die Lebensfreude des Künstlers zum Ausdruck bringen. Erst in den letzten Jahren ist eine ganze Reihe von ihnen entstanden. Sie schaffen für Lederer einen Ausgleich zur Landschafts­malerei und zu den Stillleben - häufig Blumen, wie etwa Pelargonien oder üppige Levkojensträuße. Auch Tierschädel und Muscheln in Verbindung mit verschiedenen Gefäßen, Flaschen, Töpfen und Gläsern, haben es ihm angetan. Aber zurück zum Akt! Er ist ja im allgemeinen ein Thema für sich! In der zeitgenössischen Kunst verkommt häufig die Frau und ihre Weiblichkeit durch die zu akademische „Bestandsaufnahme” des Künstlers, durch den genormten und distanzierten Blick auf Komposition, auf die Form, einerseits zur seelenlosen Staffage. Andererseits wiederum wird sie ihrer Würde beraubt und zu oft als reines Lustobjekt betrachtet. Nicht so bei Lederer! Hier besticht die Frau in ihrer Individualität. Sinnlichkeit und Erotik sind Ausdruck des Weiblichen in seiner Urform — ähnlich einer Venus von Willendorf. Überzeugend verleiht ihm Viktor Lederer Gestalt! Die Lust am Gesehenen, die Emotion, jenes spannende Prickeln zwischen den Geschlech­tern wird deutlich fühlbar. „Ein gutes Bild muss fließen, man darf darüber nicht nachdenken. Es ist wie ein Wurf!”, so der Künstler.

Und was für Würfe! Leidenschaftliche Frauenkörper, nicht geschönt, mit vollen Brüsten gleich reifer Früchte, laden am Fauteuil ein, kokettieren vorm Spiegel oder suchen Beachtung in den Augen des Betrachters. Sie fragen, fordern auf oder weisen selbstbewusst ab.

Dass Viktor Lederer ein Könner ist und auch ein hervorragender Zeichner sein muss, wird einem spätestens beim Anblick der ausdrucksstarken Gesichter seiner Modelle bewusst. Zwei, drei Pinselhiebe und eine volle Lippe, wie sie schöner nicht sein könnte, erstrahlt im Wetteifer mit tiefen, dunklen Augen, skizziert mit nur wenigen, sicheren Strichen. Tief greifen dabei Pinsel und Spachtel in die leuchtende Farbe, die der Künstler kübelweise anmacht und damit den Boden seines Ateliers in einen bunten Fleckerlteppich verwandelt hat. Pastos zieht sie, gleich einem Relief, ihre Furchen über die Lein-wand, wirft Schatten und lässt je nach Tageszeit und Lichteinfall das Werk in anderem Glanz erstrahlen.

Licht und Schatten sind es auch, die Viktor Lederer seit Jahrzehnten in Steinbrüche, Schotter- und Sandgruben ziehen lässt. Gewöhnungsbedürftig für die Allgemeinheit und nicht gerade reißerisch ist dieses Thema. Aber dennoch gelingt es ihm, jene besondere Eigentümlichkeit, den Reiz zwischen stiller Ur- und vom Menschen gezeichneter Kulturlandschaft, so einzufangen, dass er sich damit eine große Zahl von Liebhabern geschaffen hat, die sich der malerischen Qualität dieser Werke nicht entziehen können. Gerade hier kommt der enorme Farbauftrag Lederers dem Thema besonders entgegen, verleiht er doch den Felsformationen, den Klüften und Spalten einen zusätzlichen Körper.

Viele Jahre galt der 1935 in Wien geborene Maler, der bei Prof. Franz Elsner an der Akademie der Bildenden Künste stu­dierte, als Künstler des Burgenlandes. Nicht von ungefähr, verbringt Viktor Lederer doch seit über vierzig Jahren die Som­mermonate in diesem immer noch ursprünglich gebliebenen Bundesland. In einer Fülle von Werken hat er dieser einma­ligen Landschaft und ihrer Bevölkerung, vorwiegend den Bauern, Handwerkern und Tagelöhnern ein bleibendes Denkmal gesetzt. Viele dieser Gemälde können in der Sammlung des Burgenländischen Landesmuseums bewundert werden.

Viktor Lederer, der Mitglied des Wiener Künstlerhauses ist, bietet aber auch die Stadt und deren unmittelbare Umgebung eine Vielzahl an Motiven.

So zeugen die jüngsten Gemälde aus dem Wein-, Mühl- und Waldviertel von der ungebremsten Schaffenskraft des Künst­lers. Hier geben vom Wind gebeugte Bäume und Sträucher Auskunft vom nahenden Gewitter. Da dienen sie als Saum endloser Felder reifer Sonnenblumen. Obstbäume in voller Blüte künden von reicher Ernte. Ein Feldweg mischt sich mit der schweren Scholle des Ackers, gibt den Blick frei auf eine Kellergasse, ... Impressionen und Erinnerungen, die auf derLeinwand zu neuem Leben erstehen. Tiefe Farbakkorde stehen im Wechselspiel von Melancholie und Heiterkeit. Einfühl­sam gelingt es Viktor Lederer, der Schönheit der Natur, dem Kleinen, Einfachen und Leisem, den Dingen, an denen man oft achtlos vorübergeht, ungeahnte Größe und Weite zu verleihen.

Im Grunde aber bedürfen seine Bilder keiner Interpretation oder intellektuellen Deutung. Sie sprechen, wie jedes gute Bild,unmittelbar durch sich selbst, durch die Seele, durch das Herz des Künstlers. Dazu fällt mir die Aussage von Matisse ein,der gemeint hat,„Man müsste den Malern die Zunge abschneiden”. Damit hat er bei vielen sicherlich recht. Aber vielmehr sehe ich diesen Ausspruch auch auf Galeristen, Kunsthistoriker und Kunstkritiker gemünzt – mich miteingeschlossen!

Die Kunst Viktor Lederers ist eine äußerst ehrliche. Sie ist Ausdruck seiner Person, ist Mittler seiner Spontaneität, Dynamikund Leidenschaft. Jene Großzügigkeit, die seinem Pinsel zugrunde liegt, zeichnet den Maler auch als Person und Mensch aus. In meiner langen Erfahrung als Galerist sind mir nur wenige Künstler wie Viktor Lederer untergekommen. Uneigen­nützig hat er mich immer wieder auf andere, lebende Maler aufmerksam gemacht, die er für gut und „ausstellungswürdig” hält. Man sollte meinen, dass dies selbstverständlich wäre. Dem ist aber nicht so. Aber das nur als Detail am Rande! Dennoch, es rundet das Bild einer Künstlerpersönlichkeit ab, die nicht von ungefähr eine äußerst erfolgreiche Vergangen­heit vorweisen kann.

Neben den vielen Ausstellungen, den Preisen und Auszeichnungen sind eine ansehnliche Zahl von Katalogen, Kunstpubli­kationen sowie zwei ausführliche Monographien seinem reichen Werk gewidmet.

Mehr als sechzig Bilder befinden sich im Besitz öffentlicher Sammlungen und Museen, wie etwa dem Museum der Stadt Wien, dem NÖ Landesmuseum, dem Österreichischem Museum für Volkskunde, etc. Wesentlich und nicht unbedeutendist auch die Zahl der Werke in den wichtigsten und bekanntesten Privatsammlungen, u.a. Sammlung Dr. Rudolf Leopold, Privatstiftung Hans Schmid, usw.

Gerade diese Sammlungen zeigen, welche Wertschätzung das Werk Viktor Lederers genießt — ein Werk, lebendig und fesselnd, voll unbändiger Leidenschaft und von zeitloser Gültigkeit!

  

FRANZ PROBST

Kulturredakteur der BF 1970 – 1992

Präsident des Österr. P.E.N.-Clubs, Bgld.

Viktor Lederer und das Burgenland

...Viktor Lederers Burgenland: das sind die Stadelzeilen, die Höfe und Gassen von St. Margarethen, Stadtschlaining, Rust oder Mattersburg, das sind die weißen Fronten der Häuser von Trausdorf, vor deren grünen Haustoren einst die Uralten saßen und die Tagewerke ihrer langen Leben besprachen; das sind die ins Geheimnis führenden, von Engeln bewachten Tore und die stillen Winkel, in denen Blumen wie die Sonnen leuchten und Märchen und Sagen lebendig werden; das ist das Kleine, Einfache und Leise, dem Viktor Lederer Größe, Monumentalität und Weite gibt.

Viktor Lederers Burgenland: das sind die Van Gogh´schen Sonnen, die er in die Dörfer schleudert und die – Brände, die sie sind – Häuser und Felder und Bäume zu Fackeln machen; das sind die bewegten Himmel, die wie Urgewalten über Kirchtürmen und Hausdächern lasten und Drohung und Zuversicht und Zeichen des Ewigen sind.

Viktor Lederers Burgenland – das sind vor allem die Menschen, die er an einem siebenten Schöpfungstag hineingestellt hat in diese neuentdeckte und neugebaute Welt. Diese Porträts sind Menschwerdung der Geschichte, Ikonen, aus denen uns das Schicksal des Landes anspringt. Sie sind aus Erde gemacht und über Jahrhunderte hinweg mit der Erde verbunden. Sie sind Burgen aus Fleisch und Blut, die für dieses Land stehen, als Sinnbilder seiner leidvollen Geschichte, seines Todüberwindens und seiner Zuversicht. Da ist die Teta Marica aus Trausdorf; 92 Jahre was sie alt, als sie Viktor Lederer als Ikone des Fleißes und der Fruchtbarkeit dieses Landes malte; da ist die Taglöhnerin Maria Pfeiler aus Stadtschlaining, in deren Gesicht die Not Hunderttausender versteinert ist; da ist der Weinbauer Franz Cserer aus Rechnitz, in dessen Antlitz Viktor Lederer alles Blühen und Reifen, alles Säen und Ernten und alle Jahreszeiten dieses Landes gepresst hat. Und da sind Mädchenbilder – das des Bauernkindes oder das der jungen Rechnitzerin Ingrid Paukovits – in denen aus zaghafter Zuversicht Stolz und Glaube an die Heimat wird. Sie alle sind Burgenland, sie sind Vermenschlichungen der Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft dieses Landes.

Gerade mit diesen Menschenbildern ist Viktor Lederer aus den Traditionen der Burgenländischen Landschaftsmalerei ausgestiegen und ist aus dem Fortsetzer der Begründer von Neuem geworden. Denn auch Lederers Porträts sind Landschaften oder besser ihr Abbild, das die Welt der Dörfer widerspiegelt, zu neuer Wirklichkeit vordringt und ein echteres eindrucksvolleres und packenderes Bild von diesem Land vermittelt als dies die konventionelle, äußere Merkmale und Sehenswürdigkeiten schildernde Landschaftsmalerei tun kann.

 

LEOPOLD SCHMIDT

Direktor der Österreichischen Museums für Volkskunde 1955 – 1977

Häuser und Menschen

Häuser und Menschen. Alte ländliche Häuser, und ländliche, landnahe Menschen. Zuerst die burgenländischen Höfe mit dem Tor zwischen den zwei Giebeln, von der Straßenseite her. Später die gleichen Häuser von innen, von den Höfen her, noch später auch von der Ackerstraße, mit dem sonst kaum je gemalten Blick auf die Ställe und Stadeln. Und das also ebenso im stillen Waldviertel wie am Riederberg, dann wieder in St. Margarethen oder in Trausdorf, und dann ganz besonders und viele Jahre lang in Schlaining. Und ab und zu bleibt eine alte Frau, ein alter bäuerlicher Mann sitzen, die Männer drinnen und draußen immer mit dem Hut auf dem Kopf, oft noch mit dem blauen Schurz, dem „Fiata“ um den Leib, und sie lassen den still-fröhlichen Maler mit dem scharfen Blick einfach arbeiten. Und der baut aus Farben, aus kräftigen, nach Erde schmeckenden Farben die bröckeligen Wänder der Häuser auf, gestaltet aus Farben die oft beinahe farblosen Alltagsgewänder der alten Bäuerinnen, der zaundürren Kroatinnen aus Trausdorf ebenso wie die der behäbig dicken Wirtschafterinnen aus der Gegend von Horn, und alle die einfachen Menschen von Schlaining, das offenbar längst nicht mehr das Städtchen des Ritters Andreas Baumkircher ist, sondern eine Bauern- und Handwerkersiedlung, mit ihren unpathetischen Menschen. Gestaltet ohne erkannbare graphische Vorzeichnung die Köpfe dieser Menschen, die Gesichter der alt gewordenen Eheleute in ihrer kargen Küche etwa, oder den einsamen Wirtshausgeher, manchmal auch den vergnügten uralten Veteranen, der da noch einmal die k.k. Uniform tragen darf; der alte grüne Federbusch des Tschakos versinkt schon im dunklen Hintergrund. Oder aber, geradezu als Gegenstück, den Schlaininger Grundtrummler, den „Kleinrichter“, der die örtlichen Nachrichten ausruft. Und alle diese guten namenlosen Menschen leuchten immer wieder aus diesen Farbkompositionen, diesen so kräftig hingesetzten Pinselstrichfolgen heraus. Viktor Lederer liebt diese Häuser, diese Menschen, diesen anonymen Alltag hier am Lande, und seine Bilder werde immer mehr zu Denkmälern der Liebe.

  

Die Menschen von Schlaining

Da steht er wieder, der Kleinrichter, der Grundtrummler von Stadtschlaining, und ruft aus, was ihm die Gemeinde aufgetragen hat. Die Stadt ist ein alter kleiner Markt, und ein paar Schritte nur hindurch steht man schon vor dem Tor der gewaltigen Burg. Die großartige Feste über dem Tauchental ist beinahe immer menschenleer. Die früheren Besitzer haben sich längst zurückgezogen, so wird letztenendes die öffentliche Hand die durchaus gut erhaltene Feste übernehmen müssen. Man steigt auf den einprägsamen Turm, schaut durch die Luken nach den vier Windrichtungen, und sieht die alten Viertel, die jeweils wie eigene kleine Dörfer anmuten. Dort wohnen, leben, arbeiten die Menschen von Schlaining, nicht hier in der berühmten Burg, wo man nur das große Relief des einzigen berühmten Erbauers und Bewohners, des Ritters Andreas Baumkicher sehen kann. Die große Condotterie wurde seinem Kaiser, Friedrich III., bald zu mächtig und verlor Haupt und Herrschaft deshalb. Da schützten ihn die von ihm gegründeten Kirchen und Klöster nicht, die noch in Schlaining und Mariasdorf von seiner gotischen Stiftergesinnung Zeugnis ablegen. Seine Paulinerklosterkirche ist zur katholischen Kirche geworden, in der sonntags die Schlaininger Messe hören, die in der Geschlechterfolge den mächtigen Ritter überlebt haben. Die Namenlosen, die Bauern und Handwerker, die kleinen Leute, der Häuser etwa in der Langegasse, aber doch auch dreihundert, zweihundert Jahre zurückreichen. Sieht man sie so vorurteilslos, so unbefangen und doch scharf beobachtend an wie der Maler Viktor Lederer, dann erkennt man bald die typischen Menschen hier. Leute, die in ihren Vorfahen womöglich schon vor dem Baumkircher da gewesen sind. Leute, deren Namen auf der mittelalterlichen Besiedlung des Burgenlandes hinweisen. In ihrer schlichten Art sitzen sie da vor dem Maler der sie durch Jahre hindurch kennt und beobachtet, von den Kindern mit dem offenen Blick bis zu den alten Ehepaaren, die man sich gar nicht so recht als einzelne Männer und Frauen vorstellen kann. Und Lederer malt sie, wie sie sind, manchmal die Frauen mit dem Kopftuch, manchmal die Männer mit dem Fürtuch, aber immer in ihrer Selbstverständlichkeit, nicht etwa durch einen aufdringlichen Folklorismus verzeichnet. Warum auch: Der Pfarrer ist der Pfarrer, der Briefträger ist der Briefträger, und gestandene Männer haben nun einmal den Hut auf, wie der Gendarm seine Dienstmütze. Manchmal kommt ein Stück Feierlichkeit zum Vorschein: Man wird doch nicht alle Tage gemalt, das weiß man schon, obwohl keiner von ihnen verstehen kann, wie nun der Maler Lederer ihre Köpfe, ihre Hände, ihre einfachen Anzüge, ihre Hemden mit den weichen Kragen und nur ab und zu mit einer Krawatte eigentlich in ein Bündel von Farben, von Flecken, umsetzen mag. Man kann ihm zuschauen, die Kinder tun das nicht ungern, auch wenn sie dann, wenn sie selber in einer Gruppe vor ihm sitzen, doch recht scheu und ernst sind.

Viktor Lederer hat schon an manchem Ort im Burgenland oder auch in Niederösterreich die bäuerlichen Häuser und ihre Menschen gemalt. Wenn er sich vor sie hinstellen würde, und irgenwann einmal sie abzählen dürfte, dann wären es vielleicht schon Dutzende, mit der Zeit mag ein ganzes Schock daraus werden. Das ist eigentlich auch früh schon gesehen worden, und die öffentlichen Sammlungen, die Museen haben dem damals noch jungen Maler so manches dieser ungemein eindrucksvollen Bilder abgekauft. Das Österreichische Museum für Volkskunde in Wien hat im Lauf der letzten zwei Jahrzehnte nicht weniger als zwei Dutzend seiner Bilder erwerben können, die heute im Stammhaus in Wien, ebenso wie in der alten Bauernmühle in Mattersburg hängen, und diese Institutionen über das Medium der Kunst mit den Menschen des Landes verbindet. So viele wie da in Schlaining zusammen gekommen sind, kann freilich kein Museum erfassen, das müssen immer Sonderausstellungen tun. Zu ihrer Erföffnung aber sollte eingentlich immer der Kleinrichter austrommeln.

   

ROBERT WAISSENBERGER

Direktor der Historischen Museums der Stadt Wien 1974 – 1987

Zu den Bilder von Viktor Lederer

Das Malen ist eine schöne Sache: Zumindest sollte es dies sein. Nicht mit Krampf dürfte gemalt werden, sondern immer voll Lebensfreude, aus Lust daran, dass etwas Schönes entsteht, dass es Farben und Formen in unserer Umwelt gibt. Und das alles entsteht schon, wenn man sich in der Welt der bescheidenen Dinge umsieht: in den Bauerndörfern des Burgenlandes etwa, wie es Viktor Lederer tut. Häuser und Menschen sind die Themen, die ehrlich und ohne Vorbehalte, ohne den Hinterhalt künstlerischer Aktualität gemalt wurden. Sicher besteht ein Bedürfnis nach Bildern in dieser Welt, die man gebrauchen kann, die man sich an die Wand hängt und einen an etwas erinnern, das man gern hat.

Breit angelegt sind die malerischen Aussagen Viktor Lederers. Es sind Ausschnitte aus dem Leben, Darstellungen sonniger Landschaften, vor allem des Burgenlandes, Porträts von Menschen, die dort leben. Dieser Maler geht nicht zaghaft mit dem Pinsel um. Er trägt die Farbe breit und füllig auf und fasst mit ihr die Formen, die er sieht, großzügig zusammen. Und dennoch hat der Betrachter den Eindruck, dass in seinen Bildern alles enthalten ist, Liebe zum Gegenstand, Freude an der Umwelt, Atmosphäre. Beileibe ist eine in der Sonne leuchtende weiße Mauer nicht einfach nur eine weiße Fläche. So vermag man sie nicht zu sehen, denn sie wurde durch einen dynamischen Farbauftrag sehr verlebendigt. Auch hat man nicht den Eindruck, dass es Viktor Lederer schwer fällt, seine Themen zu finden. Überall scheint Anlass gegeben, um zu malen, hat man nur die richtige Einstellung zum Leben. Ob in der Art der künsterischen Auffassung sich im Laufe der Jahre etwas geänder hat? Entschieden hat sich manches geändert, wenn auch nicht all zu viel. Möglicherweise ist Lederers Malerei weicher, fließender geworden und so auch in mancher Weise vielleicht dem Metier entsprechender. Im Allgemeinen blieb dieser Maler allerdings seiner Eingenart treu: eine Wiedergabe, eine malerische Aussage, ohne Umschweife.

 

MONIKA ZIWNA

Galerie Artziwna

Viktor Lederer – Architekturbilder 1987 – 1990

Diese einmaligen von tiefer Verinnerlichung zeugenden Bilder des Malers Viktor Lederer sind eine sinnbildhafte Umsetzung des einst Gesehenen, schon Erlebten - umgewandelt in eine Bildsprache der Erinnerung.

Viktor Lederer beweist in diesem Zyklus den Reiz der Materie ohne anekdotischer Staffage. Er durchdringt die vorgegebenen, der steten Veränderung ausgesetzten Normen und errichtet in einer kontrastierenden Ruhestellung, quasi Zeitlosigkeit, seine malerischen Bauwerke, Relikte aus einer im Verschwinden begriffenen Zeit.

In dem 1995 erschienenen Katalog zu diesen Bildern Viktor Lederers bezeichnet Brigitte Marschall sehr treffend diesen Zyklus „Im Zwielicht der Erinnerung“.

Aber es sind nicht die architektonische Darstellung und das bis aufs Äußerste reduzierte Gesamtbild allein für die Aura dieser Bilder verantwortlich. Vielmehr ist es die besondere Farbgebung, in hauptsächlich stumpfem Ultramarinblau, staubigen rosa/violett Tönungen und das in Polarität gesetzte Weiß mit Ocker oder Braun versetzt, welche das wunderbare Licht in diesen Bildern und somit deren starke Ausdruckskraft erstrahlen lässt.

Lederer sammelt in diesen Bildern nicht nur Erinnerungen, sondern beweist uns mit einer fast übersinnlichen Empfindsamkeit, dass alles im Jetzt passiert und dass Licht in seiner Vielseitigkeit auf einen Nenner gebracht werden kann. In einem einzelnen Werk malt er die Reflexionen der prallen Mittagssonne, gepaart mit fahlem Mondlicht auf den Häuserfronten, und einen dämmrigen, oft nachblauen Himmel mit den langen Schatten eines auslaufenden Tages. Den Übergang des Sein/Nichtseins des Tages zur Nacht, die Gegensätze des malerischen Duktus von präzise Linear bis hin zu spröder Pastosität im Mauerwerk, verewigt Viktor Lederer eindrucksvoll in den wenigen Bildern aus dieser Schaffensperiode.

Bekannt wurde Viktor Lederer mit seinen dramatischen, stark farbigen Landschaftsbildern, Stillleben und grandiosen Aktdarstellungen, die in etlichen Museen und Privatsammlungen vertreten sind, u.a. auch in der Prof. Leopold-Sammlung. Auch in diesen Bildern überwindet Lederer die gesetzte Form der Natur, ihre Vergänglichkeit und Begrenztheit und erzählt mit temperamentvollen, kräftigen Pinselschlägen seinen eigenen Bewusstseinsraum.

Damit weckt er sämtliche Sinne des Betrachters und öffnet einen Weg zu neuen Ufern, nämlich, dass man mit den Augen der Kunst über Grenzen hinaus sehen kann und soll. Diese kontrastreichen Seiten des Malers Viktor Lederer werden bei der Messe im Wiener Künsterhaus zu sehen sein und vervollständigen den Einblick in seine elementare Bildsprache.