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LEBEN & WERK

 

 

Eine Hommage an Viktor Lederer von Monika Ziwna

 

Der am 26. November 1935 in Wien geborene Viktor Lederer begann vorerst seine malerische Ausbildung in der Meisterklasse bei Franz Elsner an der Akademie der bildenden Künste in Wien und schloss 1964 mit einem Meisterdiplom ab. Lederer arbeitete als freischaffender Künstler und blieb in der Malweise der Klassischen Moderne und dem Post-Expressionismus Zeit seines Lebens verwurzelt.

Die ersten Ausstellungen zu Beginn der 1960er Jahre in der Wiener Secession und dem Wiener Künstlerhaus brachten erstmals, dem damals 25 jährigen Künstler, Aufmerksamkeit und lobende Kritik bei den öffentlichen Sammlungen und privaten Käufern. Zu der Zeit bezog er auch sein erstes Künstleratelier in Wien-Lichtental.

Es ist aber die burgenländische Landschaft, die Lederer suchte, das traditionelle einfache Leben, welches er in einer Polarität aus Melancholie und Heiterkeit in ausdrucksvolle Bilder verwandelte. Erkennbar besonders in den etlichen Porträts der Ortsansässigen, die er oft in einer dunklen, erdigen Aura darstellte und deshalb immer gerne malte, denn: „... die alten Leut‘ sind immer ruhig sitzen geblieben beim Porträtieren...“ (Viktor Lederer) Viele dieser Werke befinden sich heute im Besitz des Österreichischen Museums für Volkskunde und sind zeitgeschichtliche Dokumente des burgenländischen Volkstums.

Ab den späten 1960er Jahren verbrachte der Künstler die Sommer in Sankt Margarethen, wo sowohl die schmalen, natürlich verwachsenen Gässchen, als auch die weiten Landstriche der Umgebung seinem unbedarften Herzen nahe kamen. Er bezog ein kleines Stöckl in einem Bauernhof im ehemaligen Kramergassl, das später nach dem Maler Josef Dobrowsky umbenannt wurde. Von dort aus, mit Blick auf die Kirche, malte er das immer wieder kehrende Motiv aus Sankt Margarethen. Des Öfteren machte Lederer mit dem Enkel des Malers Dobrowsky, Bernhard, längere Spaziergänge um die Flora der Gegend aufzunehmen: „Die Ziele unserer Streifzüge waren immer die gleichen: die Gegend um den Hendlberg hinter dem alten Kohlgraben, die Schulgasse, die Milchgrubn, der Bruckngrabn, Plätze unter den Nuss- und Maulbeerbäumchen um die Kirche. Hier blühten zu Hunderten Gladiolen, Dahlien, Löwenmäuler, Zinien und Margariten.“1

All diese kleinen und großen Naturschönheiten findet man in Viktor Lederers Gemälden verewigt – die satte, farbige Natur des pannonischen Oberlandes oder der schiefrige Aufbau des Steinbruchs, bescheidene Pflänzchen in einfachen Keramikvasen oder üppige Blumensträuße, die förmlich mit ihrem Geruch den Bildraum ausfüllen. Ebenso die verlassenen Gehöfte, struppigen Obstbäume und melancholische Stillleben werden durch seine selbst gemischten Farben mit Pinsel und Spachtel zu dicht gewachsenen Gemälde, deren jeweilige Stimmung den Betrachter in den Bann zieht:

Die Bilder, die der Künstler in den vergangenen 26 Jahren – seit seinem ersten Kontakt mit unserem Land gewissermaßen – gemalt hat, sind heute zum Teil schon historische bzw. volkskundliche Dokumente, ohne die wir auf der Suche nach unserer Identität sicherlich erfolglos wären.“3 (Theodor Kery)

Im Schauen spüre ich, wie positive Gefühle in einem eher rationalen Alltag zu Leuchten beginnen. Es entsteht eine Heiterkeit, die nicht erst gedeutet werden muss. Tiefe Farben, verbunden mit vitaler Gestaltung, verleihen den Bildern eine besondere Stärke, die in der Lage ist, einen ganzen Raum zu bewegen. Verweilt man ein wenig länger – man kann es kaum glauben – das Bild beginnt zu leben. Und es wird immer lebendig bleiben. Solange es ein innerlich aufgeschlossener Mensch zu betrachten weiß.“ 4 (Heinrich Kottbauer)

Lederers Gesamtwerk widerstrebt sich dem Theoretischen und Konzeptionellen und baut stattdessen auf eine direkte sinnliche Wahrnehmung. So setzt er in seinen Landschaftsbildern Monumentalität, Kraft, Licht und Urgewalt direkt mit Pinsel und Spachtel um. Ein a priori unspektakulärer Steinbruch, ein einfacher Abhang oder ein nicht unbedingt postkartentauglicher Landschaftsausschnitt genügen Lederer um mit malerischen Mitteln Empfindungen zwischen mystischer Ruhe oder unruhigem Brennen hervorzurufen. Auch große Formate überzeugen mit einer flächendeckenden Spannung. Der Duktus des Künstlers setzt der Naturgewalt einen würdigen Kontrapunkt.“ 6 (Frederik Lehner)

Als gelte es hartes widerstrebendes Material zu bearbeiten, schlägt Lederer Wege und Lichtungen aus der Materie, die Bäume am Wegrand stehen eng beisammen, sind eine dunkle Bergkette geworden. Vom hypnotisch- leuchtenden Rot getäuscht, verwandelt sich das träge Gemurmel von Grün in eine vielstimmige Symphonie aus Farben. Lederer sprengt die Farben aus ihrem selbstverständlichen Eingebundensein in die Landschaft, hebt das rote Ocker als Eigenständiges ins Bewusstsein, doch die vulkanische Energie des Kosmos lässt sich kaum domestizieren. Die natürlichen Pigmente liegen in der Erde verborgen und müssen ausgegraben werden. Die Schwermut der Landstriche und Abhänge drängt in den Vordergrund, als könne sie sich mit der Beschränkung auf eine zweidimensionale Fläche nicht zufrieden geben. Der explosive, beinahe rauschhafte Pinselduktus verbindet die Risse und Vertiefungen der Zeiträume. Ekstatische Momente, in denen die Natur ihre Feste feiert.“ 5 (Brigitte Marschall)

Mit seinen dramatischen, stark farbigen Landschaftsbildern, Stillleben und grandiosen Akt-Darstellungen, überwindet Lederer die gesetzte Form der Natur und ihre Vergänglichkeit und kämpft mit temperamentvollen, kräftigen Pinselschlägen gegen seine eigene eingeschränkte Sichtweise um in dem Werk eine Tiefe und einen steten Dialog zu schaffen. Damit weckt er sämtliche Sinne des Betrachters und öffnet den Einblick in seine elementare Bildsprache, nämlich, dass man mit den Augen für die Kunst über Grenzen hinaus sehen kann und soll.“ 8 (Monika Ziwna)

Bekannt wurde Viktor Lederer mit seinen dramatischen, sehr pastosen und farbigen Landschaftsbildern, Stillleben oder den grandiosen Akt-Darstellungen. Wie kein anderer konnte er dem Betrachter das nicht Ausgesprochene und doch Mitgedachte sinnlich nahe bringen. „Ein gutes Bild muss fließen, man darf darüber nicht nachdenken. Es ist wie ein Wurf!”, so der Künstler.

Es war immer eine Suche nach den nicht beachteten Motiven, die Viktor Lederer mit Begeisterung aufspürte und mit Hilfe seiner malerischen Umsetzung zu neuer Beachtung verhalf. Ob es Abbauprozesse einer Sandgrube waren oder der langsame Verfall eines Bauernhofes, der Künstler schaffte es in seinem Werk aus dem Niedergang eine Wiedergeburt aufzuzeigen. Er vermochte mit Feingefühl die Eindrücke der Landschaft festzuhalten, nicht deren genaue Umsetzung als Abbild, sondern die Impression einer inneren Verbundenheit zur Schöpfung, Eins zu sein mit dem Ganzen.

Komplettiert wird diese Themenvielfalt durch seine großartigen Aktdarstellungen. Oft sind sie unnahbar und auch nicht idealisiert oder aufreizend dargestellt. In den Bildnissen zeigt sich vielmehr der respektvolle Umgang des Künstlers mit der jeweiligen Stimmung des Modells, ob musternd oder sich den Blicken entziehend. Die Gemälde sind menschliche Landschaften, Körperformationen die er in einer leidenschaftlichen Malweise interpretiert. Lederer überließ bei den Akten nichts dem Zufall, denn er ordnete die jeweiligen Modelle an, eine ungezwungene Pose einzunehmen, die er dann zum unikalen Kunstwerk formte. Attribute wie Hüte und Tücher sind bloß Anker des irdischen Daseins, der Akt selbst verschmilzt als Vision oder Körperlandschaft mit dem Hintergrund.

Ähnlich sind auch seine Selbstbildnisse, die meist in einem spiegelnden Soliloquium entstanden sind: „Das Selbstbildnis gibt Auskunft über das zurückgeworfene Spiegelbild und die schöpferische Selbsteinschätzung. Der vom Spiegel provozierte reziproke Monolog erfährt dadurch eine wesentliche Erweiterung. Die künstlerische Selbstwahrnehmung realisiert sich erst dann, wenn sie an den Betrachter weitergeleitet wird. Das Selbstporträt wäre somit das überzeugende Medium der Darstellung authentischer Identität oder als deren Problematisierung anzusehen. Aber der Spiegel, Basis allen selbst bildnerischen Schaffens, ist ein doppelsinniges Gerät. Er wirft das Bild einer physischen und psychischen Einheitlichkeit zurück. Oder ist es vielmehr der Spiegel, der es erst erlaubt, Ich-Identität als Abbild in einer dafür präparierten Glasscheibe wahrzunehmen? Wie der Spiegel gibt auch das Selbstbildnis von Viktor Lederer keine klare Antwort auf ein stabiles Ich und bleibt vielmehr doch Wiedergabe seiner Instabilität. Das Selbstbildnis wird eingebunden in Lederers Verletzbarkeit und Unruhe. Fern jeder satten Selbstzufriedenheit kehrt Lederer die weit geöffneten Augen nach Innen und hält dem Blick des Betrachters stand. Lederer starrt aus dem Bild und versieht es mit spöttischen Zügen. Die Selbstthematisierung umkreist so auch eine fortschreitende ironisierende Distanz.“7 (Brigitte Marschall)

1970 heiratete Viktor Lederer seine, bei Elsner kennengelernte Lebensgefährten Diana Chesham und übersiedelte in ein neues Atelier in Wien Wieden. Dort entstanden die Werke für die zukünftigen Frühjahrs- und Herbstausstellungen im Wiener Künstlerhaus und der Secession, weiters wurden die ersten Galeriepräsentationen ausgestattet. So entstanden die farbintensiven Landschaften, Klippen und Felder während des burgenländischen Sommeraufenthaltes und im Winteratelier die raumgebundenen, gebändigten Blumen und gesammelten Stillleben und die zur inneren Einkehr gekommenen Akte.

Die Sommeratelierschauen in Schlaining sind immer auf großes Interesse gestoßen. Diese fanden wöchentlich an Sonntagen im Sommer statt, und die Schlaininger Bevölkerung konnte es kaum erwarten unmittelbar nach dem Sonntagsgottesdienst dort hinzugehen. Manche Frauen haben sogar das Mittagessen vorgekocht, damit sie mehr Zeit für die Ausstellung haben. Es war eine wahre Dorfattraktion! Man hat sich dort unterhalten und getrunken, aber vor allem was das Interesse an den Bildern groß. Alleine die Vorstellung, dass ein Porträt von ihnen in der Öffentlichkeit gezeigt wird, hat die meisten Modelle sehr verblüfft. Die Erinnerung an diese Zeit berührt mich nach all den Jahrzehnten noch immer.“ 9

1971 wurde der Sohn Richard geboren, ein Jahr später die Tochter Julia: „Mein Vater erinnerte sich sehr gerne an seine Jahre als junger Mann zurück, in denen er ein Leben als Bohemien geführt hatte. Er erzählte uns oftmals Anekdoten aus dieser Zeit. Sein freies Leben ohne Verbindlichkeiten, das er gänzlich der Kunst widmete und die Befreitheit von materiellen Zwängen faszinierten ihn sehr. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie ihn einmal in seinem damaligen Atelier in Lichtental besucht hatte. Er hatte kurz davor seine einzigen beiden Hemden gewaschen. Sie hingen an der Leine zum Trocknen. Sie waren durch und durch steif gefroren. Er hatte einfach kein Geld zum Heizen. Und es störte ihn nicht einmal... Sein letztes Geld gab er aus, um es mit anderen Menschen zu teilen. Es kümmerte ihn nicht, ob für ihn noch etwas übrig blieb und wovon er sich am nächsten Tag ernähren könnte. Er vertraute darauf, dass für ihn immer genug zum Überleben da sein würde. Wichtig war ihm vor allem, dass es seinen Liebsten gut geht.

Auch wenn mein Vater später mit Leib und Seele Vater und Ehemann war und für seine Familie sehr bedacht gesorgt hat, blieb die Erinnerung an sein Künstlerdasein immer in ihm lebendig und tief in seinem Herzen hat er die Sehnsucht danach bis zu seinem Tode nicht verloren.“ 10

Von beiden Kindern entstand u.a. das Ölbild WVZ Nr.: v223, wie so viele andere Porträts von den einzelnen Persönlichkeiten der Familie.

1980 - 1985 Etliche Gemeinschaftsausstellungen mit Ehefrau Diana Lederer-Chesham u.a. in Schloss Kittsee 1982.

Zum 50igsten Geburtstag von Viktor Lederer, kam es nachträglich auf Einladung der Burgenländischen Landesregierung zur Ausstellung im Schloss Esterhazy. „Bei der großen Personale 1987 im Schloss Esterhazy hat Theodor Kery, der damalige Landeshauptmann vom Burgenland, die Rede gehalten. Es war sein allerletzter öffentlicher Auftritt vor seiner Pensionierung, und es war ihm sehr daran gelegen diese Rede noch zu halten. Er war nämlich privat ein großer Bewunderer von Viktors Bildern und hat ihn auch regelmäßig in seinem Sommeratelier besucht.“ 9

1987 – 1990 entstand ein eigener Zyklus der „Architekturbilder“, Bilder die tiefe Eindrücke und die Verinnerlichung des einst Gesehenen und schon Erlebten in einer ganz besonderen Weise darstellen. Die ursprünglichen Gehöfte und Anwesen des Burgenlandes werden, in einer fast übersinnlichen Empfindsamkeit, bis zur völligen Negierung ihrer behausten, wärmenden Innenräume zu strengen Mauerfronten festgelegt. In einem einzigen Werk malte der Künstler die Reflexionen der prallen Mittagssonne gepaart mit fahlem Mondlicht auf den spröden Häuserfassaden und einen dämmrigen, oft nachtblauen Himmel mit den langen Schatten eines auslaufenden Tages. Lederer beweist uns mit diesen Bildern, dass das Licht in seiner Vielseitigkeit auf einen Nenner gebracht werden kann. Ein beinahe theatralisch inszeniertes Licht aus Gassen und Häuserzeilen beleuchtet die Szenen. In dem 1995 erschienen Katalog zu diesen Bildern bezeichnet Brigitte Marschall sehr treffend diesen Zyklus „Im Zwielicht der Erinnerung“. Bei einer Sonderausstellung 2002 im Wiener Künstlerhaus durch die Galerie Ziwna wurden erstmalig diese Werke mit großem Interesse präsentiert.

Im Spätwerk fand Lederer neue Reize im Wein-, Mühl- und Waldviertel, wo er ebenfalls die weiten, menschleeren Landschaften, oft in theatralischen Farbimpressionen, festhielt. Auch hier suchte er die Einöde, vereinsamte Kellergassen und verschlafene Gehöfte, Wege und Bäche dividieren das Bild und Wälder formieren sich zu dunklen Hügelbänder am Horizont. Die Stille, die zu jeder Jahreszeit eine andere Dramaturgie darstellt, wurde von Lederer einzigartig, als ein von der Natur hervorgebrachtes, zeitloses Schauspiel festgehalten - ein sogenannter farbiger Nachruf.

2011 erkrankt Viktor Lederer schwer und kann seine künstlerische Tätigkeit nicht fortsetzen, am 2. Januar 2017 verstirbt Viktor Lederer.

 

Seine Werke sind im Besitz etlicher Museen und Privatsammlungen, u.a. in der Sammlung Dr. Rudolf Leopold, Forum Strabag und Privatstiftung Hans Schmid. Ebenso in der Bank Austria, Bank Burgenland, Bausparkassen der Österreichischen Sparkassen, Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Burgenländische Elektrizitätswerke AG, Burgenländische Landesregierung, Good Year, Höbarthmuseum, Kammer für Arbeiter und Angestellte, Institut zur Förderung der Kunst in Österreich, Niederösterreichische Landesregierung, Österreichisches Museum für Volkskunde, Stadt Krems, Stadt Wien, Wiener Städtische Versicherung

 

Mit freundlicher Unterstützung aus den Texten von:

(1) Bernhard Dobrowsky - Begegnung mit Viktor Lederer

2) Hannes Niederlechner, Altstadtgalerie Hall

(3) Vorwort Theodor Kery - ehemaliger Landeshauptmann von Burgenland

(4) Heinrich Kottbauer - Wiener Symphoniker

(5) Brigitte Marschall - Landschaftsräume Körperbilder

(6) Frederik Lehner - Galerie Lehner

(7) Brigitte Marschall - Menschen Landschaft Farbenklänge

(8) Monika Ziwna – Galerie Ziwna, Katalog Sopravivere 2002

(9) Diana Chesham

(10) Julia Lederer